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Europa

Polens schwieriger Historikerstreit

Ulrich Krökel
Osteuropa-Korrespondent / Piqer für DLF-Europaformate
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Ulrich KrökelMittwoch, 23.11.2016

Es ist ein extrem schwieriges Thema, dem sich Florian Kellermann in seiner DLF-Rezension zu Pawel Lisickis Buch Blut an unseren Händen? widmet: Wie stark war der Antisemitismus vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg in Polen? In welchem Maß haben Polen mit den Nazis bei der Judenvernichtung kollaboriert? Und welche Folgen hat all das für die Historiographie zur Geschichte Polens im 20. Jahrhundert?

Kellermann arbeitet sehr konsequent zwei Positionen heraus, die es in der polnischen Debatte dazu gibt. Zum einen ist das Lisickis rechtskonservativ-nationalistische Grundthese, Polen als „Christus der Völker" (Adam Mickiewicz) sei zuallererst und im Grunde ausschließlich eine unschuldige Opfernation. Die Gegenthese wird von Lisicki unterstellt und verbindet sich mit dem Namen des umstrittenen Holocaust-Forschers Jan Tomasz Gross. Demnach war der Antisemitismus im Polen des 20. Jahrhunderts tief verwurzelt. Es gab eine Kollaboration mit den Nazis im großen Stil, und damit trägt Polen tatsächlich eine Mitschuld am Holocaust.

Leider versäumt es Kellermann, wenigstens kursorisch die aktuelle Forschungslage zu skizzieren, deren gründliche Analyse beide Positionen als krasse Überzeichnungen entlarvt. Es gab, wie in fast dem gesamten Europa jener Zeit, einen weit verbreiteten Antisemitismus in Polen. Es gab Nazi-Kollaborateure und vereinzelte antijüdische Pogrome. Das ändert aber nichts daran, dass Polen selbstverständlich zuallererst Opfer der Nazis und des von Deutschland entfesselten Weltkriegs war. Es gab rund drei Millionen jüdische und fast ebenso viele nichtjüdische Todesopfer polnischer Nation. Warschau wurde dem Erdboden gleichgemacht, andere Städte großflächig zerstört. Last but not least fiel Polen nach dem Krieg unter Sowjetherrschaft.

Es tut dem Gedenken an das Grauen, das die Deutschen über Polen gebracht haben, allerdings keinen Abbruch, an die Verbrechen polnischer Täter zu erinnern. Im Gegenteil: Wer sie verharmlost oder leugnet, disqualifiziert sich selbst.

Polens schwieriger Historikerstreit

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Kommentare 3
  1. Gurdi (Krauti)
    Gurdi (Krauti) · vor 8 Jahren

    Eine derartige Debatte wäre vor 2 Jahren noch undenkbar gewesen.

    1. Ulrich Krökel
      Ulrich Krökel · vor 8 Jahren

      Das stimmt so nicht. Die Debatte wird in Polen seit mehr als 15 Jahren geführt, spätestens seit dem Buch "Nachbarn" von Jan Tomasz Gross über das Massaker von Jedwabne, das im Jahr 2000 erschienen ist. Sie wird seither auch immer mit denselben oder jedenfalls kaum weiterentwickelten Argumenten geführt. Leider fehlt in der Debatte das rationale Maß der Mitte. Der politische Stimmungswandel und der Regierungswechsel in Warschau haben damit aber zunächst einmal rein gar nichts zu tun. Letzterer hat natürlich Auswirkungen auf die polnische Geschichtspolitik (Museen, Kulturförderung, Schulbücher etc.), aber das Buch von Lisicki hätte genau so gut vor zwei oder fünf Jahren erscheinen können.

    2. Gurdi (Krauti)
      Gurdi (Krauti) · vor 8 Jahren

      @Ulrich Krökel Mir fehlt natürlich die Möglichkeit in die innere Debatte der Polen rein zu horchen. In Deutschland war das Ganze jedoch kaum zu vernehmen. Der kürzliche Beitrag im Weltspiegel und jetzt im DLF gehen da schon in einere Andere Richtung wie sonst. Wen ich bedenke wie man den Kopf eingezogen hat bei "Unsere Mütter, unsere Väter".

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