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Zeit und Geschichte

Unpiq: Was sagte Bismarck zu seinen Denkmälern? Warum rissen die Alliierten sie nach 1945 nicht ab?

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergFreitag, 31.07.2020

Bismarck wähle ich als Beispiel einer der gerade üblichen Auseinandersetzungen mit der Geschichte aus zwei Gründen:

Weil jeder, der hierzulande lebt oder – international gesehen – wer sich für Politik interessiert, sich mit dieser Gestalt auseinandersetzen sollte. Und weil ich mich leidlich gut auskenne in der Biographie des zentralen Schöpfers der ersten Einheit der Deutschen, die sich bald zum 150. Mal jährt.

Kein Geringerer als Thomas Mann nannte Bismarck das

einzige politische Genie, das Deutschland hervorgebracht hat.

Er sagte es, als er 1945 amerikanischen Zuhörern die Deutschen erklärte, die von den Alliierten gerade niedergerungen wurden. Selbst die sowjetische Seite nutzte Bismarck. Bereits ab 1941 gab es ein Flugblatt, wo dieser mit dem Finger auf Hitler zeigt:

Dieser Mann führt Deutschland der Katastrophe entgegen.

Deshalb blieben viele Denkmäler in der Bundesrepublik stehen und in der DDR verschwanden etliche erst im Laufe der 1950er Jahre. Die Alliierten wussten den Unterschied zu seinen Nachfolgern.

Den unpiq-Beitrag wähle ich als Beispiel, weil er kompakt Richtiges und Falsches zusammenrührt. So heißt es, Bismarck

gilt als Wegbereiter des Kolonialismus, berüchtigt ist er auch wegen seiner Repressalien gegen Linke in Form des Sozialistengesetzes. Und er stand für imperialistische Kriegspolitik.

Da auch die erste deutsche Einheit aus einer Revolution hervorging, war sein Schöpfer Bismarck einer Dialektik der Geschichte unterworfen:  Der preußische Konterrevolutionär von 1848/49 wandelte sich zum „königlich-preußischen Revolutionär“ der Jahre 1866/70.

So schrieb es Friedrich Engels und der des Marxismus unverdächtige Henry Kissinger brachte es auf die Formel vom „weißen Revolutionär“, die auch Fachhistoriker übernahmen.

Das allgemeine Ergebnis der Jahre um 1870/71 war in Europa die Selbständigkeit und staatliche Einigung der großen Nationen, mit Ausnahme Polens.

Das erkannten viele Linke damals, so der französische Sozialist Jean Jaurès, der die lange Periode des Friedens nach 1871 auf die Konstituierung kräftiger Nationen zurückführte, vor allem Deutschlands und Italiens.

Nach 1871 betrieb Bismarck eine Politik des europäischen Gleichgewichts, beruhend auf der territorialen Saturiertheit des neugegründeten Reiches. Dem Sicherheitsbedürfnis auf dem Kontinent ordnete er auch den kolonialen Expansionismus unter, dem er mehr unter dem Druck von Interessenten und Ideologen eine Zeitlang nachgab. Er warnte jedoch vor einer »Weltpolitik«, die mächtige Gegenbündnisse heraufbeschwören könnte und schließlich auch heraufbeschwor.

Auf der Negativseite im historischen Wirken Bismarcks blieben seine Feindschaft gegenüber allen demokratischen Kräften, insbesondere in der Arbeiterbewegung, und sein eingefleischter Royalismus, der ihn am Ende lähmte gegenüber Wilhelm II. So konnte dieser zur Symbolfigur einer nicht nur von Unternehmern, Bürokraten und Militärs, sondern auch von bürgerlichen Parteien getragenen Politik der Herausforderung anderer traditioneller Mächte werden. Damit wurde das bedeutendste politische Erbe Bismarcks, Umsicht im europäischen Kräftespiel walten zu lassen, schlechterdings vertan. Diese Tragik einer reichentwickelten Persönlichkeit wurde zur Tragik der deutschen Nation.

So das Fazit dieser von mir neu und gekürzt herausgegebenen Bismarck-Biografie.

Vor der Politik seiner Nachfolger warnte Bismarck ähnlich wie der im englischen Exil lebende Friedrich Engels: Sie führe in einen großen Krieg und in die Selbstzerstörung Europas.

Vielleicht ist es nicht uninteressant, zu erfahren, was Bismarck über die an vielen Orten entstehenden Denkmäler von sich sagte:

Auf Titel und Orden habe ich niemals großen großen Wert gelegt, so wenig wie auf Denkmäler, die man mir errichtet hat und errichten will; ich will weder ein Schaustück sein noch mich versteinert oder am wenigsten bei Lebzeiten als Mumie sehen. Mir genügt mein einfacher Name, und ich hoffe, daß er auch in Zukunft genügen wird, die vielleicht weniger auf hohe Titel als auf erfolgreiche Taten sehen wird.

Bismarck verlangte selbstbewusst Respekt für Geleistetes, aber Überhöhungen und Überdimensionales lehnte er ab. Man kann also auch mit Bismarck gegen seine klobigen Denkmäler, wie das große Hamburger argumentieren, das nach seinem Tod erbaut wurde.

Die Anschuldigungen, die nicht nur gegen Bismarck, sondern gegenüber vielen anderen erhoben werden, zeigen bestürzend, wie häufig Geschichte einseitig interpretiert wird.

Oft gilt heute: Schwach gewusst, stark gemeint.

Unpiq: Was sagte Bismarck zu seinen Denkmälern? Warum rissen die Alliierten sie nach 1945 nicht ab?

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Kommentare 3
  1. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor mehr als 4 Jahre

    interessant. Und ja sicher argumentieren (besser: wettern) viele gegen bestimmte als Statuen bzw. in Straßennamen symbolisierte 'Personen', ohne genauer Bescheid zu wissen. Und so zt etwas ungerecht gegenüber der verehrten Person.
    ABER (war ja klar :-)) Denkmäler sind Symbole und somit ist es fast egal ob eine Bismarck-Statue den echten Bismarck meint oder Bilderstürmer sich quasi irren... Denn Bismarck und seine Statuen stehen für ein bestimmtes Bild. werden und - wie man an Ihren Ausführungen sieht - wurden (anders) interpretiert.
    und so ist Bismarck heute Symbol für ein Kaiserreich welches für Kolonialismus und Weltkrieg steht...

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor mehr als 4 Jahre

      Stimmt, Geschichte wird immer von heute bewertet. Und die unterschiedlichen Sichtweisen zeigen die Unterschiede in der Gesellschaft.

      Kein Geschichtsschreiber kann jemals darstellen, wie es damals gewesen ist. Aber er sollte das "Vetorecht der Quellen" (Koselleck) anerkennen.

    2. Cornelia Gliem
      Cornelia Gliem · vor mehr als 4 Jahre

      @Achim Engelberg richtig. Allerdings sind statuen nicht direkt Geschichte/swisse schaft - sie verkörpern unser (heutiges) Bild, und oft nicht mal das sondern ein altes/veraltetes.
      und Statuen sind im öffentlichen Raum. So können müssen sie sich der heutigen Bevölkerung stellen...

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