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Zeit und Geschichte

Gestern & Heute: Wie hältst Du es mit der Vergangenheit? Susan Neiman zum argen Weg der Erkenntnis

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergMontag, 11.05.2020

Aus aktuellem Anlass gab es in den letzten Tagen etliche Beiträge über die dunklen Kapitel der deutschen Geschichte auf piqd.

Mit fremdem Blick fügt die US-amerikanische Philosophin Susan Neiman im Interview anlässlich ihres Buchs VON DEN DEUTSCHEN LERNEN nicht nur eine neue Facette hinzu.

Sie zeigt Leistungen, Versäumnisse und was noch zu machen ist im Vergleich zu den dunklen Kapiteln der Geschichte ihres Herkunftslandes.

Eine berufenere Autorin gibt es wohl kaum, denn sie lebt seit 1982 mit Unterbrechungen in Berlin und ist seit 2000 Direktorin des Einstein Forums in Potsdam.

Sie fordert eine umfassende Auseinandersetzung mit den dunklen Kapitel der USA und dabei können diese auch von den von ihnen mit befreiten Deutschen lernen. In den Staaten aufgewachsen, war sie selbst von den Ergebnissen ihrer Untersuchungen überrascht, etwa

welch große Rolle es immer noch spielt, dass die Sklaverei mit dem Ende des Bürgerkriegs de facto nicht abgeschafft wurde. Sklavenartige Beschäftigungsformen wie die Schuldknechtschaft oder die Verpachtung Strafgefangener gab es vielmehr bis tief ins 20. Jahrhundert. Der Rassismus in den USA ist daher viel tiefer und viel weiter gegangen als es von außen erscheint. Die frühe Vergangenheitsaufarbeitung, die in Deutschland erst in späten Sechzigerjahren in den Kinderschuhen war, markiert einen Punkt, an dem wir in den USA jetzt gerade erst sind. Und das auch nur, weil uns Trump die Augen geöffnet hat. Das ist die einzige gute Folge seiner Präsidentschaft.

(Wer diese Tiefenschichten besser verstehen will, schaue auf diese Doku-Serie, die die geschätzte Kollegin Michaela Maria Müller empfiehlt.)

Im Gegensatz zu den Amerikanern, so Susan Neiman, sehen viele Deutsche ihre Schuld und diese wird erinnert.

Allerdings war es trotz dem Zwang nach dem verlorenen Krieg ein arger Weg der Erkenntnis. Sie unterstützt ausdrücklich die These von der Zweiten Schuld.

Ralph Giardano löste damit eine Debatte aus, die Gerhard Zwerenz im November 1987 im SPIEGEL so unterstützte:

Vielleicht gelingt es ihm, sich Gehör zu verschaffen, eben und gerade weil er ein jüdischer Deutscher ist, ein dem drohenden Holocaust entronnener einzelner, der also weiß, wovon er spricht, wenn er vom Leid spricht, "vom großen Frieden mit den NS-Tätern nach 1945", vom "Geburtsfehler der Bundesrepublik Deutschland", von der "zweiten Schuld" nach der ersten unter Hitler, denn auf die Untaten folgten deren Leugnung, das Schweigen und, neuerdings, die triumphale Wiederauferstehung per Beschönigung, Bagatellisierung und Uminterpretation.

Es gruselt einem beim Lesen vom Stand der westdeutschen Auseinandersetzungen Ende der 1980er Jahre.

Mittlerweile gelang es dem neu vereinten Deutschland trotz Rückschlägen in der Mehrheit so gut, dass andere wie die USA davon lernen könnten.

Aber dabei belässt es Susan Neiman nicht, sondern sticht in die eiternde Blase der neuen deutschen Vergangenheitsbewältigung:

Westdeutschland ist bis heute nicht in der Lage, den Antifaschismus in der DDR sachlich einzuordnen. Da ist immer der hämische Ausdruck "verordneter Antifaschismus" zu hören, wobei man eigentlich fragen müsste: "Hey, ist das nicht genau das, was Ihr Euch von der Adenauer-Regierung gewünscht hättet?" Bestand das Problem in der Bundesrepublik nicht genau darin, dass der Antifaschismus von der Regierung nicht verordnet wurde? Natürlich wird alles, was die Regierung verfügt, irgendwann einmal formelhaft und verliert an Authentizität. Der Antifaschismus wurde auch instrumentalisiert, gar missbraucht. Aber es war zunächst genau richtig, dass die DDR den Antifaschismus verordnet hat.

Außerdem erläutert sie, im Buch logischerweise ausführlicher, dass jenseits der unsäglichen Propaganda in der DDR die Nazi-Diktatur oft vielschichtiger dargestellt worden ist.

Zuletzt will der Interviewer Paul Katzenberger wissen, welche Eigenschaften sie als jüdische Amerikanerin an vielen Deutschen bemerkt, die der Diktatur Vorschub geleistet haben könnten:

Mich stört immer dieses hierarchische Denken. Das macht mich manchmal verrückt. Wir denken immer, dass die NSDAP vom Pöbel unterstützt wurden, dabei stellten die Akademiker prozentual den höchsten Anteil der Mitgliedschaft. Ich bin immer erstaunt, wie viel übertriebenen Respekt die Menschen hier vor einem Doktor, Professor oder Staatssekretär haben. Für eine Amerikanerin wie mich ist das ziemlich unverständlich.

Hier allerdings war die DDR nicht besser, füge ich hinzu und empfehle diese beiden augenöffnenden Texte.

Gestern & Heute: Wie hältst Du es mit der Vergangenheit? Susan Neiman zum argen Weg der Erkenntnis

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