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Kurator'in für: Fundstücke Zeit und Geschichte
Seit der ersten Stunde als Kurator bei Forum dabei: Dirk Liesemer arbeitet als Journalist für Magazine wie mare und G/Geschichte. Er hat Politik, Philosophie und Öffentliches Recht studiert, die Henri-Nannen-Journalistenschule besucht, immer mal wieder in Redaktionen gearbeitet und ehrenamtlich eine Reihe von Recherchereisen mitorganisiert und begleitet. Bisher fünf Bücher, darunter "Café Größenwahn" (2023), ein Ausflug zu den großen Kaffeehausliteraten des Fin de Siècle. Foto: Andreas Unger
Endlich! Ich habe seit Wochen auf solch einen Text gewartet. Und ich hatte auch schon mit mir selbst gewettet: Falls er wirklich erscheinen sollte, dann nicht in einer der Zeitungen der Hauptstadtpresse; und er würde sicher auch nicht von jemanden verfasst sein, der in Berlin wohnt. Wen wundert's: Ich habe meine Wette gewonnen und fühle mich nun einmal mehr darin bestätigt, dass man die Macht des Bundes unbedingt begrenzen muss.
Jürgen Overhoff, Professor für Erziehungswissenschaft in Münster, verteidigt in diesem leider kostenpflichtigen Text den Föderalismus. Dieser werde gerne abschätzig als "Flickenteppich" tituliert – mit dem Ziel, "den Föderalismus als entscheidenden Hemmschuh bei der Bewältigung der jetzt anstehenden Aufgaben" verächtlich zu machen.
Auffällig fand ich jedenfalls, wie sehr in der Coronakrise immer wieder ein Gleichschritt der Bundesländer angemahnt wurde. Diese Forderung kam keineswegs nur aus der Politik, sondern in erschreckendem Ausmaß auch von Kommentatorinnen und Kommentatoren. Sie wurde regelrecht zu einem Gradmesser, um Politik beurteilen zu können. Wer sich diesem Anspruch nicht unterordnete, wurde des Separatismus verdächtigt – ob nur im Scherz, blieb meist offen.
Overhoff untersucht, woher der Schmähbegriff "Flickenteppich" stammt und blickt dabei in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück, als Deutschland durch drei Kriege geformt wurde und die Zentrale immer mehr Macht über die Provinzen an sich zog. Dabei war der deutsche Föderalismus lange zuvor von den Aufklärern und von den Gründervätern der Vereinigten Staaten als eine demokratische Errungenschaft gerühmt worden.
Der Text ist ein paar Tage lang auf Blendle zu finden, danach nur noch über einen FAZ-Login zu erreichen. Wer sollte ihn lesen? Vor allem all jene, die sich partout nicht daran erinnern können, welche beiden deutschen Staaten so gar nichts mit Föderalismus anfangen konnten – und auch die, die von der Politik ein Durchregieren einfordern.
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Naja, das "Heilige Römische Reich" als Föderalismus zu bezeichnen, ist schon eine sehr spezielle Sicht.
Zumindest gaben die Gründungsväter der USA neben einer föderalen Struktur ihrem Land eine Hauptstadt, die seit 1800 Washington heißt.
In Deutschland gibt es eine solche erst seit 1871.
Die deutsche Literatur ist voll von Beispielen, wie borniert der Flickenteppich war. Kleist "Michael Kohlhaas" sei als ein Beispiel genannt.
Die 1848er Revolution ging auch um die nationale Frage, dass der Flickenteppich endlich überwunden oder zumindest zurückgedrängt wird. Bismarck war damals für die Beibehaltung von diesem.
Als er erkannte, dass dieser nicht mehr zu halten war und erkämpfte er in entscheidender Weise den ersten deutschen Nationalstaat.
Diejenigen 48er, die vor allem diesen wollten, kamen aus dem Exil zurück. Viele arbeiteten schließlich für Bismarck. Als der Zar das kritisierte, immerhin zerstörte Bismarck dauerhaft Teile des Flickenteppisch und brach mit dynastischen Tradtitionen (er vertrieb zum Beispiel den König von Hannover ins Exil) antwortete er nahezu klassisch:
„Soll Revolution sein, so wollen wir sie lieber machen als erleiden.“
Selbst Revolutionäre, die mehr als einen Nationalstaat wollten, und die im Exil blieben, erkannten das an. Friedrich Engels zum Beispiel:
„Wenn das nicht revolutionär ist, so weiß ich nicht, was das Wort bedeutet.“