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Kurator'in für: Flucht und Einwanderung Literatur Fundstücke Zeit und Geschichte
Dissertation über John Berger (Dr. phil.). Seine Essays und Interviews, seine Reportagen und Rezensionen erscheinen u. a. in Neue Zürcher Zeitung, Blätter für deutsche und internationale Politik, Sinn und Form, Jacobin und Lettre International. Als Historiker wertet er den in der Berliner Staatsbibliothek vorliegenden Nachlass seines Vaters aus. So erschienen »Die Bismarcks. Eine preußische Familiensaga vom Mittelalter bis heute« (2010, zusammen mit Ernst Engelberg) oder die von ihm herausgegebene Neuedition von Ernst Engelbergs »Bismarck. Sturm über Europa« (2014). Als Buchautor publizierte er zuletzt das literarische Sachbuch »An den Rändern Europas« (2021).
Glücklicherweise ist der Krieg für die meisten keine erlebte Realität, aber er taucht in unseren Gesprächen öfters auf, so lange das große Töten im Osten weitergeht. Wir bekommen in bekömmlichen Portionen Einblicke über unsere Medien, manchmal tauchen Schutzsuchende auf und viele haben Erinnerungen an ihre Vorfahren, die im Krieg waren. Hinter einem Schleier ist der Krieg für uns versteckt.
Der Osteuropa-Historiker Jörg Barberowski ist einer, der die große Menschenschlächterei analysierend beschreibt. Im ersten Text sucht er Antworten auf die Frage: Warum plündern und vergewaltigen Soldaten und ermorden Zivilisten zum Zeitvertreib?
Der Krieg verändert alles. Kein anderes Geschehen bringt den Menschen so sehr zu Bewusstsein, das Leben nicht zu ihrer freien Verfügung zu haben. Das erste Gefecht öffnet das Tor zu einer neuen Welt, in der andere Regeln gelten und das Selbstverständliche zum Außergewöhnlichen, das Außergewöhnliche zum Alltäglichen wird. Die Soldaten sehen, wie Kameraden in ihrem Panzer bei lebendigem Leib verbrennen, sie hören die unmenschlichen Schreie der Verwundeten, die mit abgetrennten Gliedmaßen und verbrannten Gesichtern auf der Straße liegen, um sie herum Tod und Verwesung. Jetzt wollen sie die anderen nur noch überleben, nicht erleiden, was ihre verwundeten und getöteten Kameraden erlitten haben. Darum geht es in allen Kriegen: töten, um nicht getötet zu werden.
Wichtig erscheint mir auch diese Bemerkung, die mich vor allem aufgrund von Erlebnissen mit Soldaten in der Ostukraine überzeugt:
Ständig spielt der Kreml mit einer Weltkriegsrhetorik, behauptet eine "Entnazifizierung" der Ukraine, begeht den 9. Mai als Tag des Sieges als eigentlichen russischen Nationalfeiertag. Das ist aber keine alte Melodie, die seit 1945 immer wieder gespielt wird, sondern eine neue. Unmittelbar nach 1945 war es anders, ganz anders:Die russische Armee ist schon immer ein großes Gefängnis gewesen, in dem die Soldaten von ihren Offizieren wie Leibeigene behandelt und gedemütigt wurden. Nichts hebt das Selbstwertgefühl der Gedemütigten so sehr wie die Erniedrigung, in die sie andere Menschen stoßen. Einmal in ihrem Leben dürfen sie, die stets nur Opfer gewesen waren, Macht ausüben.
Stalin und seine Helfer verstanden sofort, das ihre Macht auf dem Spiel stand, wenn sie den Untertanen erlaubten, über das Erlebte so zu sprechen, wie sie es in Erinnerung hatten. Für die totale Diktatur wären freie Menschen verloren gewesen. Niemals würde Stalin ihnen erlauben, dass der Sieg als Leistung von Soldaten öffentlich erinnert wurde. Er durfte nichts anderes als ein Triumph des Führers gewesen sein. Schon im Jahr 1947 war der 9. Mai kein Feiertag mehr, weil der Diktator an den Sieg des Volkes nicht erinnert werden wollte. Die verordnete Wirklichkeit aber ließ sich nur erzwingen: durch Einschüchterung, Zwang und Gewalt.
Ja, das ist kein Tippfehler. Schon 1947 war der 9. Mai kein Feiertag mehr. Das ist ein Zitat aus einem zweiten Text, in dem Jörg Barberowski das andere, verspätete Ende des Zweiten Weltkriegs im Osten beleuchtet.
In den Ländern im Westen Europas war der Krieg 1946 zu Ende, für Amerikaner, Briten und Deutsche sogar früher. In der Sowjetunion aber ging er erst zu Ende, als Stalin starb und das Imperium seine innere Macht wiederhergestellt hatte. So gesehen war für Millionen Bürger der Sowjetunion nicht das Jahr 1945, sondern das Jahr 1953 das Ende ihrer Leiden.
Die ungeheure, alte, oftmals verschwiegene und einseitig wahrgenommene Gewalt im Osten muss man mitdenken und -fühlen, wenn man die Tagesnachrichten sieht. Diese prägt das Leben in den Trümmern des Imperiums in der immer noch zerfallenden Sowjetunion. Damit sind nicht nur die letzten Zeitzeugen gemeint. Jeder kennt aus seiner Familie, seinem Bekannten- und Freundeskreis Überliefertes über diese Schreckenszeit.
Quelle: Jörg Baberowski Bild: picture alliance/... taz.de
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Was will uns Baberowski sagen? Dass Krieg verrohend wirkt und seine brutalisierenden Gesetze hat? Das ist keine neue Erkenntnis.Dass der 🇺🇦 deshalb besser keine weiteren Waffen geliefert würden? Dann bliebe seine Verurteilung des russ. Überfalls folgenlos