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Kopf und Körper

Mit Long Covid allein zu Haus

Silke Jäger
Freie Medizinjournalistin

Ich lebe in Marburg und schreibe über Gesundheit und Gesundheitspolitik.

Zum Kurator'innen-Profil
Silke JägerFreitag, 04.11.2022

So geht es vielen Menschen, deren Covid-Symptome sich hartnäckig halten: Sie stehen auf Wartelisten von Spezialambulanzen. Viele von ihnen können nicht arbeiten und sind oft buchstäblich auf sich allein gestellt. Denn Long-Covid-Spezialist:innen sind rar und die niedergelassenen Ärzt:innen meist überfordert. Schlimmer noch: Viele wissen über das Krankheitsbild so wenig, dass sie schädliche Empfehlungen aussprechen.

In diesem erhellenden Interview spricht der Leiter der Marburger Long-Covid-Ambulanz, Bernhard Schieffer, über die mangelnde Versorgung der Patient:innen. In Marburg warten fast 4.000 Patient:innen auf einen Termin, im Schnitt vier bis fünf Monate.

Die Betroffenen sind Suchende in der Wüste. Wir haben noch zu wenig Behandlungsangebote. Einige Long-Covid-Ambulanzen sind am Platzen.

Immer wieder haben Betroffene mit Falschinformationen zu kämpfen, die eine wirksame Behandlung verhindern oder verzögern. Sie begegnen ihnen nämlich auch im Medizinbetrieb selbst: Die Symptome seien psychosomatisch, nicht so gravierend, verschwänden von selbst. Das stimmt aber nicht, sagt Schieffer.

Wir finden bei nahezu allen unseren Patienten auffällige Laborparameter. Wir sehen oft Veränderungen des Immunsystems: eine Verschiebung im Verhältnis von CD4- zu CD8-Zellen, Monozytosen, erhöhte Eosinophile, Immunglobuline und Zytokine. Schauen Sie sich mal einen Patienten mit Long Covid an: Er ist um Jahre gealtert, hat graue Haare und hat ein paar Jahre Lebenszeit verloren. Das hat alles nichts mit Psychosomatik zu tun.

Wir sehen viele psychische Veränderungen, die mit Genesung wieder abklingen. Das hat trotzdem nichts mit Psychosomatik zu tun, sondern mit entzündlichen Prozessen im Gehirn. Das Renin-Angiotensin-System und vor allem das Enzym ACE2 finden sich in hoher Konzentration im Stammhirnbereich, also dort, wo viele unserer Emotionen und unsere kognitive Leistungsfähigkeit sitzen. Und genau dort greift das Virus oder das Spike-Protein an.

Definition, Leitsymptome, Verlauf, Behandlungsmöglichkeiten, Prognose – überall große Fragezeichen. Das in Kombination mit den fehlenden Behandlungsplätzen schafft mit der Zeit ein großes Problem, nicht nur für die Betroffenen selbst.

Die Behandlung ist auch deshalb schwierig, weil Long Covid ein Chamäleon ist. Schieffer denkt, dass die Krankheit wohl eine ist, bei der personalisierte Ansätze am besten helfen könnten. Von einem allgemeingültigen Behandlungsschema ist man sowieso noch weit entfernt. Weil die Krankheit zu wenig erforscht wird – vor allem, wenn man es ins Verhältnis setzt zur Anzahl der Betroffenen. Schieffer schätzt, dass 10 bis 15 Prozent der Infizierten betroffen sind, unterschiedlich schwer.

Wir reden hier, konservativ gerechnet, von zwei Millionen Patienten. Jede Corona-Welle zieht neue Fälle nach sich. Es trifft oft jüngere, vorher aktive Menschen. Diese Menschen werden buchstäblich aus ihrem Leben, ihrem Job gerissen. Das sind Mütter, Richterinnen, Polizisten. Die haben Geld verdient, Steuern und Sozialbeiträge gezahlt. Wir brauchen diese Menschen auf dem Arbeitsmarkt und nicht auf dem Krankenbett.

Schieffer fasst in diesem Interview das Wissen über die Krankheit verständlich zusammen und erklärt, was passieren muss, um den Menschen besser helfen zu können.

Je früher behandelt wird, desto besser. Umso eher können die Patienten zurück in ihr Leben. Dazu braucht es Strukturen in der Vor- und Nachsorge. Wir brauchen in jedem Bundesland ausgewiesene Institute für Long-Covid-Forschung, also etwa Helmholtz-Schwerpunktzentren. Diese Zentren sollten untereinander vernetzt sein und auch sektorenübergreifend mit niedergelassenen Ärzten Versorgungsnetze bilden. Die Zentren erstellen und beginnen die Therapie. Damit gehen die Patienten zurück zum Facharzt, also zum Kardiologen oder Neurologen. Solche Strukturen kann man relativ schnell aufbauen.

Mit Long Covid allein zu Haus

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Kommentare 1
  1. Lutz Müller
    Lutz Müller · vor 2 Jahren

    Neulich erhielt ich von meiner Ärztin bei einer Booster-Impfung den Hinweis auf die Sendung Eckart von Hirschhausens. Vieles aus dem Artikel wird dort bestätigt und anschaulich erklärt, Forschungs- und Therapieansätze ausführlicher erläutert. Den Hinweis auf die aktualisierte Version und den Link zur Mediathek habe ich hier weitergegeben: www.piqd.de/wissenscha....

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