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Ein Kontrast

Quelle: "BabyDior". Shop in Dubai ( 2013). Foto: Karl van Worm

Ein Kontrast

Michael Kröchert
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Michael KröchertMontag, 29.01.2018

Neben dem Schreiben gehe ich verschiedenen Nebenjobs nach. Darunter assistiere ich einem Ausstatter, der Bauten für Ausstellungen anfertigt. In dieser Woche rief er an und fragte, ob ich arbeiten wolle. Er zahlt gut, also sagte ich ja. Diesmal sollten wir die VERSACE-RETROSPEKTIVE im Kronprinzenpalais aufbauen. Auf verschiedenen Stockwerken mussten Räume für die Präsentation von Kleidung gestaltet werden. Sehr aufwendig und „hochwertig“ das Ganze. Darunter war auch der sogenannte „bondage-room“. Unsere Aufgabe war es z. B., einen mittelgroßen Saal vollständig abzudunkeln. Die hohen Fenster und Türen mit schwarzem Stoff lichtundurchlässig zu machen. „Mein erster bondage-room“, meinte einer der Kollegen und wir lachten. Dann erledigten wir den Job. Ganz entspannt. Der Raum wurde dunkel. Er wurde schwarz.

Jeder kann sich ungefähr vorstellen, was dort für Menschen auftauchten und herumliefen. Vom Assistenten, der die Schaufensterpuppen zusammensetzte, bis zum Art Director, der alle Entscheidungen traf. Die Modebranche: Ein Milieu mit besonderen Codes in Sprache, Kleidung, Habitus, Gestik. Umweht von einem besonderen Nimbus. Klar, viele nette Leute, alles soweit auch ganz normal erst mal. Kennen wir ja.

Als die Arbeit an dem „bondage-room“ für uns beendet war, bekam ich einen Anruf von einem Freund. Einem Schauspieler, der mir einen Film ans Herz legte, in dem er mitgespielt hat. DAS MILAN-PROTOKOLL. Und weil es zeitlich passte, radelte ich direkt nach Feierabend von den Linden durch den Lustgarten am Dom vorbei ins Acud.

Ich bewunderte meinen Freund für das Privileg und seinen Mut und die Kühnheit, in den Nord-Irak zu reisen, um dort an diesem Film mitzuarbeiten. Also auch Geld mit etwas zu verdienen, das den größten Respekt verdient. Als er zum ersten Mal davon berichtete - die Dreharbeiten fanden im Spätsommer 2016 statt - beneidete ich ihn um das Abenteuer, um die Einblicke und die Möglichkeit, sich vor Ort eine eigene Meinung zu bilden; natürlich auch um den RUHM. Nur hatte ich im Stress des Alltags nicht mitbekommen, dass der Film schon in den Kinos lief.

20 Uhr. Acud. Saal 2. Freitagabend. Prime time. Außer mir saß noch eine ältere Frau im Saal. Sie trank einen Tee aus einer Glastasse. Wir knisterten im Wechsel mit unseren Chipstüten. Es war ja niemand da, der sich daran stören konnte. Zum Teufel! Man war ja längst an diese Form der VERSCHWENDUNG gewöhnt: In einer aufwendig produzierten deutsch-irakischen Co-Produktion sitzen zur Prime-time zwei Leute.

Ich öffnete mein Feierabendbier. Die Arbeit an dem „bondage-room“ und die Begegnung mit der Modebranche waren kaum eine Stunde her. Dann dieser harte Cut: Eine genialische Sequenz, mit der der Film beginnt. Eine Szene, die sich tief ins Bewusstsein gräbt. Eine Szene, die eigentlich banaler nicht sein könnte. Doch der Sound, die Langsamkeit, die große HELLIGKEIT, die absolute Stille, die Hitze, die halbzerstörten Häuser, versetzten einen unmittelbar in eine Stimmung der Ruhe. In eine Stimmung des Schweigens und der Klarheit. Hier geht es unzweifelhaft um die Ruhe, die nur dann gegeben ist, wenn Emotionen vollständig in den Hintergrund treten. Man ist dem Filmemacher (Peter Ott) augenblicklich dankbar dafür.

Die Stimmung der Konzentration, die mit dieser Anfangssequenz heraufbeschworen wird, wird nach 10-15 Minuten allmählich fallengelassen. Im weiteren Verlauf des Films wird die Hauptfigur, eine deutsche Ärztin (Catrin Striebeck), die auf Seiten der irakischen Kurden arbeitet, von einer syrischen Gruppe, die teilweise mit dem IS kooperiert, entführt. Ein Thriller beginnt. Auch Waffenschmuggel spielt eine Rolle. (Bei „Milan“ handelt es sich um eine „leichte Infanterie-Panzerabwehrrakete“ der Bundeswehr, die die Kurden brauchen, um den IS zu stoppen.)

Es beginnt ein Kammerspiel, in dem die Ärztin einerseits ihren vier männlichen Entführern und Peinigern gegenübersteht, andererseits dem BND-Mann Moses (Christoph Bach). Hier im Mittelteil könnte meiner Meinung nach eine Kritik ansetzen. Nicht was den Inhalt, sondern was die Form, den Einsatz der filmischen Mittel angeht. Ich habe diese Kritik formuliert, mir ist aber klar geworden, dass diese Kritik wertlos ist. Denn der Kontext, in dem der Film steht und in dem wir stehen, macht diese Kritik überflüssig.

Nur so viel: Die Stimmung – also eine der Botschaften des Films – die den Anfang dominiert, wird in meinen Augen während der Szenen der Gefangenschaft vernachlässigt. Der Inhalt dominiert. Man verliert den Faden. Man lässt ihn fallen. Man fällt für einige Momente in das gewohnheitsmäßige Denk-Schema und den Die-Bilder-kenn-ich-schon-Trott zurück.

Die Ärzin wird festgehalten und in die Irre geführt. In verschiedener Hinsicht gefoltert. Im Hintergrund laufen Verhandlungen. Die vier Entführer haben unterschiedliche Interessen. Die Kurden und der IS haben auch verschiedene Interessen. Auch die türkischen, deutschen und irakischen (kurdischen?) Geheimdienste mischen mit. Aber um all das – um diese verworrenen, hyper-komplizierten Verwicklungen – braucht man sich nicht weiter zu kümmern. (Der Film ist nicht ansatzweise moralisch.)

Gefesselt wird die Ärztin mit Handschellen. Die Entführer geben ihr saubere Kleidung. Hygieneartikel. Einen BH. Einer der Entführer ergötzt sich an den roten, hochhackigen Schuhen, die er der „Europäerin“ von einer Einkaufstour mitbringt: „So seid ihr doch, ihr Europäerinnen“, sagt er. Sein Blick sagt alles. – Ein korrupter Mann, der viel Geld mit den Flüchtlingen verdient, streift seinen Anzug aus und zieht eine Tarnjacke über. Klebt sich einen Bart an. Sein Äußeres macht ihn zu einem anderen Menschen: Er zückt seine Waffe. – Vergessen darf man auch nicht die Rolle der Landschaft, in der dieser Konflikt stattfindet: Die Wüste und die Schotterpisten bieten keine Deckung. So gut wie alle Häuser sind zerstört. Löcher bleiben übrig.

Ich sah die roten Schuhe und die Gefangene in ihrer Zelle.. und musste an den „bondage room“ denken. An Versace.

Den Inhalt dieses Films und den „bondage room“ bei der Retrospektive in einen Zusammenhang zu stellen ist plump und plakativ. Auch willkürlich. Vielleicht auch ungerecht gegenüber den Angestellten, die für Versace arbeiten. Aber mir drängte sich dieser Zusammenhang an diesem Januartag auf. Und wozu sollte ich gerecht sein? (Wo so viel Geld im Spiel ist, darf man sparsam mit seiner Gerechtigkeit umgehen.)

Die Werte und die Codes der Modeleute und derjenigen, die für sie arbeiten, sind westeuropäisch. Sie repräsentieren uns, mich. In erster Linie spreche ich nicht von Dekadenz, Morbidität oder Obszönität. Auch nicht von Demokratie oder sozialer Marktwirtschaft. Sondern von einem Gefühl und einem Bild.

Diese beiden Welten – Kurdistan / Versace – stehen nebeneinander und sie stehen uns gegenüber. Ein Zusammenhang, den wir permanent registrieren und permanent unterschätzen. Ein Zusammenhang, der uns mittlerweile kalt lässt. Und den wir verdrängen. Wir werden dauernd damit konfrontiert, aber das hat nur zur Folge, dass wir ihn nicht mehr sehen können. Wir verschließen uns dem instinktiv und „vernünftigerweise“. Weil er so naheliegend und so offensichtlich ist. So drastisch und unglaublich. So ungerecht. Dieser Zusammenhang bzw. Kontrast langweilt uns. Auch weil er etwas moralisches mit sich bringt. Er ekelt uns an, weil wir unser Leben verteidigen müssen.

Peter Ott schafft es mit diesem klaren, sachlichen, beeindruckenden Film, diese Haltung, der wir uns hingegeben haben, auseinanderzubrechen. Und wieder etwas zu sehen, das wir die ganze Zeit sehen, und deshalb nicht mehr sehen können.

Der Film endet mit einem Kontrast. Es ist ein probates Mittel, ein filmisches Mittel. Mit einem einzigen Cut – dem letzten Cut des Films – wird das Elend der Fremden und unser Elend auf den Punkt gebracht. Man schaue selbst.

DAS MILAN-PROTOKOLL. Ein Film von Peter Ott. Mit Catrin Striebeck, Samy Abdel Fattah, Christoph Bach, Erol Afsin u.v.m. / z. B. in Berlin: ACUDkino: Montag 29.1.2018 19:45 / Dienstag, 30.1.2018, 20:00 (Retrospective Gianni Versace / Kronprinzenpalais / Unter den Linden / ab 30.1.2018)

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