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Zeit und Geschichte

Der Populismus - Dilemma der Demokratie?

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
Zum Kurator'innen-Profil
Thomas WahlMontag, 20.05.2019

Ist der überraschende und nicht vorhergesagte Sieg des Donald Trump ein Indiz dafür, dass den „Wissenschaftlern, Intellektuellen und professionellen Meinungsdeutern die Welt, in der wir leben, fremd geworden ist“? Diese Frage steht am Anfang des Artikels.

In Anbetracht des Aufstiegs rechtspopulistischer Bewegungen hat dieses Unverständnis (wieder einmal) Jürgen Habermas als einer der Ersten zum Ausdruck gebracht; dieses Mal jedoch eher unfreiwillig. Auf die Frage, wie man mit der Kritik von Wortführern der AfD an der grundsätzlichen politischen Ausrichtung der etablierten Parteien umgehen sollte, antwortete er, dass man ihr am besten gar nicht inhaltlich begegne. Stattdessen sei die ganze Richtung als Wegbereiter des Faschismus zu brandmarken – und als Lösung aller Folgeprobleme der Globalisierung müsse ein europäischer Sozialdemokratismus propagiert werden.

So weit, so simpel. Hinter dem Fremdsein steht aber ein echtes philosophisches Problem. Die universelle Vernunft hält sich selbst für so einleuchtend, dass sie mit ihren Gegnern nicht streiten sondern diese nur erziehen kann. Oder man deutet die eigene Diskursunfähigkeit in ein Reflexionsdefizit der Welt um.

Im Artikel werden dann weitere Erklärungen für das, was heute so pauschal als Populismus benannt wird, analysiert und in Verbindung gesetzt. Von Carl Schmidt, der die „Freund-Feind“ Konstellation als die eigentliche Unterscheidung in der Politik sieht über Luhmann (mit seiner Innen-Außen-Differenz) oder Martin Heideggers Kampf gegen den Liberalismus bis hin zu  Platons Kritik an der Demokratie (und ihrer Unterwanderung durch populistische Politiker) ein spannender Exkurs.

Am Ende werden wir die populistische Herausforderung ernst nehmen, ihr offensiv begegnen müssen. Das ist offensichtlich das Dilemma der Demokratie, Populismus gehört dazu.

Der Artikel ist auch als Podcast verfügbar.


Der Populismus - Dilemma der Demokratie?
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Kommentare 5
  1. Nutzer gelöscht
    Nutzer gelöscht · vor mehr als 5 Jahre · bearbeitet vor mehr als 5 Jahre

    Der Artikel verrennt sich m.E. mächtig, weil er aus Habermas' Ratschlag eine Entfernung des Philosophen vom Bürger und daraus eine Entfremdung des Liberalismus von der politischen Realität bastelt (Womit ich die schönen Exkurse zu Schmitt, Luhmann und Platon aber nicht abwerten will).

    Es hilft, noch einmal im Original nachzulesen, was Habermas damals gesagt hat, dann wird schnell klar, dass der Philosoph hier viel näher am Menschen ist als die Politik und nicht nur eine klare - rein taktische, nicht moralische - Handlungsanweisung gibt (wie mit dem Populismus umzugehen sei), sondern auch eine treffende Diagnose und Therapie zur Debatte stellt (die Sozialdemokratie hat sich dem Diktat der Globalisierung unterworfen, damit den gesellschaftlich notwendigen politischen Diskurs abgewürgt und benötigt nun eine 180 Grad Wende). Nicht Liberalismus und Aufklärung sind in der Krise, sondern die politischen Eliten, denen das Streiten genauso abhanden gekommen ist, wie den Wutbürgern die Vernunft.

    https://www.blaetter.d...

    "Der Fehler der etablierten Parteien besteht darin, die Front anzuerkennen, die der Rechtspopulismus definiert: „Wir“ gegen das System. Dabei ist es ziemlich wurscht, ob dieser Fehler in Gestalt einer Assimilation an oder einer Konfrontation mit „rechts“ auftritt. Sowohl [...] Nicolas Sarkozy, der mit seinen Forderungen Marine Le Pen überbietet, als auch [...] Heiko Maas, der sich forsch mit Alexander Gauland auseinandersetzt, machen den Gegner stärker. Beide nehmen ihn ernst und verschaffen ihm Aufmerksamkeit. Nach einem Jahr kennt nun jeder das gewollt ironische Grinsen von Frauke Petry und das Gebaren des übrigen Führungspersonals dieser unsäglichen Truppe. Nur die Dethematisierung könnte dem Rechtspopulismus das Wasser abgraben.

    Aber dazu müsste man willens sein, innenpolitisch eine ganz andere Frontlinie aufzumachen, und zwar durch die Thematisierung des oben beschriebenen eigentlichen Problems: Wie erlangen wir gegenüber den zerstörerischen Kräften einer entfesselten kapitalistischen Globalisierung wieder die politische Handlungsmacht zurück?"
    ...
    "Man müsste also politische Gegensätze wieder kenntlich machen [...]. Kurzum: Die politische Polarisierung müsste sich wieder zwischen den etablierten Parteien um sachliche Gegensätze kristallisieren. Parteien, die dem Rechtspopulismus Aufmerksamkeit statt Verachtung widmen, dürfen von der Zivilgesellschaft nicht erwarten, dass sie rechte Parolen und rechte Gewalt ächtet."
    ...
    "Die Sozialdemokratien sind seit Clinton, Blair und Schröder auf eine im ökonomischen Sinne systemkonforme Linie eingeschwenkt, weil das im politischen Sinne „systemkonform“ war oder zu sein schien: Im „Kampf um die Mitte“ glaubten diese politischen Parteien, Mehrheiten nur auf dem Weg der Anpassung an den neoliberalen Kurs gewinnen zu können. Dafür haben sie die Tolerierung der langfristig wachsenden sozialen Ungleichgewichte in Kauf genommen. Inzwischen ist offenbar dieser Preis – das wirtschaftliche und soziokulturelle „Abhängen“ immer größerer Bevölkerungsteile – so weit gestiegen, dass sich die Reaktion darauf nach rechts entlädt. Wohin auch sonst? Wenn eine glaubwürdige und offensiv vertretene Perspektive fehlt, bleibt dem Protest nur noch der Rückzug ins Expressive und Irrationale."

    1. Nutzer gelöscht
      Nutzer gelöscht · vor mehr als 5 Jahre · bearbeitet vor mehr als 5 Jahre

      Und versteht man Habermas' Einwendung als die Parteienkritik als die sie gebracht wurde, anstatt ihr elitär-liberalen Snobismus gegenüber dem Andersdenkenden zu unterstellen, dann ist es auch gar nicht mehr notwendig, per künstlich verordneter Toleranz dem Wutbürger ein so weit reichendes "Sapere Aude" zugestehen zu müssen, dass es geeignet wäre, die Grenzen des staatsbürgerlich Wünschbaren so weit zu verschieben, dass am Ende auch der Verfall in den Totalitarismus drohen könnte. Denn jeder Bürger - auch der Wutbürger hat qua seiner Existenz ohnehin dieses Recht. Das ist das Schöne am Liberalismus. Er muss es sich nicht erst verdienen. Aber damit hat eben auch jeder Bürger das Recht, denen, die es exklusiv und/oder verdienbar machen wollen, entschieden entgegenzutreten und zu brandmarken, statt sie ernstzunehmen. Ob nun taktisch oder moralisch motiviert, ist dafür wurscht.

      Viele werden den Mut zur Offenheit und zum philosophischen Streit ohnehin haben. Ihn aber von allen zu fordern geht zu weit. Um bei Platon zu bleiben: ein funktionierendes Staatswesen braucht auch Wächter, nicht nur Philosophen.

    2. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 5 Jahre

      (in Antwort auf gelöschten Kommentar) Danke für das spannende Originalinterview von Habermas. Aber als nah an den Menschen erscheint mir diese für ihn typische Mischung aus abstrakten Begriffen, ideologisch grundierten Behauptungen und Polemik nicht. Wer außerhalb einer kleinen intellektuellen Elite soll dem noch folgen?

    3. Nutzer gelöscht
      Nutzer gelöscht · vor mehr als 5 Jahre · bearbeitet vor mehr als 5 Jahre

      @Thomas Wahl Erstmal muss ich danken für den Piq. Auch wenn mir der Artikel, wie gesagt, über's Ziel hinausschießt, hat er mich gestern abend dazu gebracht, wieder einmal das Buch der Bücher aufzuschlagen und in Kapitel 8 zu schmökern, wo ich dann erkennen durfte, dass ich mich bei der Analyse der rechten Bewegungen Europas in den letzten Jahren möglicherweise zu sehr auf Hannah Arendt versteift habe, was den Blick verstellen kann, während Platon den Übergang von der Demokratie in den Totalitarismus erfrischend einfach und praxisnah skizziert.

      Apropos erfrischend einfach: ich denke nicht, dass leichte Sprache vorderste Aufgabe des Philosophen ist. Er soll denken, und das möglichst komplex, bzw. Komplexizität zergliedernd! Schriftstellerisches Talent ist nicht jedem gegeben, daher liegt die Aufgabe, das Denken des Philosophen in verständliche, für die Allgemeinheit verdauliche Happen zu bringen, schon seit jeher bei den Kommentatoren. Und auch die treffen in der Regel auf ein bereits vorgebildetes Publikum. Das liegt m.E. in der Natur der Sache und sollte nicht dem Philosophen als elitär überzogen angelastet werden. So auch bei Habermas: inhaltlich ist er trotz der gestelzten Sprache näher am Kern dessen, was die Wutbürger bewegt, als viele andere.

    4. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 5 Jahre

      (in Antwort auf gelöschten Kommentar) Das ist das Dilemma der Philosophie oder auch jeder Wissenschaft. Sie sollen denken - abstrakt und komplex. Ob die Abstraktion und Deabstraktion ins Konkrete richtig war, das kann sich erst im Experiment zeigen. Da die Philosophie wenig empirisch/experimentell agiert, läßt sich ihre Nähe zur Wirklichkeit schlecht feststellen. Höchstens sehr langfristig .....

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