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Volk und Wirtschaft

Die widersprüchlichste Energiepolitik der Welt

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
Zum Kurator'innen-Profil
Thomas WahlDienstag, 08.11.2022
Deutschland sieht sich gern und überall in einer "Vorreiterrolle". So natürlich auch in der Energiepolitik. Wo aber zunehmend der Riss zwischen Sein und Wollen sichtbar wird. Was den früher verantwortlichen Grünen-Politiker Jürgen Trittin nicht davon abhält, jüngst zu behaupten
Die Erneuerbaren liefern heute doppelt so viel Strom wie die AKW in ihrer besten Zeit. In Wind- und Sonnenenergie wurden in den letzten 20 Jahren im Schnitt 15 Milliarden Euro jährlich in Deutschland investiert. Nicht vom Staat, sondern privat. Wir haben seitdem eine Kapazität aufgebaut, die heute die Hälfte der Stromversorgung liefert. Und wir haben mit den Erneuerbaren die Kilowattstunde drastisch billiger gemacht – mit Folgen für die ganze Welt.
Der erste Satz stimmt zumindest übers Jahr gemittelt, oft liefern sie aber fast gar nix. Beim zweiten Satz hat er die Subventionen vergessen, die durchaus in der gleichen Größenordnung liegen. Und die Verbilligung ist eigentlich eine krasse Lüge. Aber das verdeutlicht ziemlich gut die Widersprüchlichkeit und die Scheinheiligkeit der deutschen Energiewende-Politik. In der "Zeit" wurde das mit der Scheinheiligkeit mal so formuliert:
Der deutsche Atomausstieg ist, egal wie man ihn findet, ein europäischer Sonderweg. Aber als solcher wird er hierzulande nicht diskutiert. Wenn Deutschland das eine will, und andere europäische Länder wollen etwas anderes, dann weicht in dieser Logik nicht etwa Deutschland vom europäischen Weg ab, nein, die anderen Länder haben den richtigen europäischen Weg einfach noch nicht erkannt. Die verquere Hybris dieser Haltung sieht in Deutschland kaum jemand, im Ausland stößt sie dafür umso übler auf. Nicht nur die deutsche Regierung, auch der deutsche Diskurs sollte diese Selbsttäuschungen überwinden. Das Land sollte sich und seinen Verbündeten eingestehen, wenn es, wie beim Gaspreis, eher an sich und an das Überleben der heimischen Industrie denkt als an ganz Europa. Um außenpolitisch erwachsen zu werden, wie es neuerdings auch aus dem Kanzleramt tönt, muss Deutschland auch zu seinem Egoismus stehen."
Aber Deutschland macht unverdrossen weiter mit seiner "liebgewordenen" Energiepolitik. Wir bauen und subventionieren Windräder, in Gegenden, wo kaum Wind weht und steigen mitten in der Energiekrise endgültig aus Kernkraft aus um dafür Kohlekraftwerke wieder anzuwerfen. Nur 15 % unserer Windkraftanlagen sind halbwegs gut ausgelastet, die fast alle im Norden stehen. Die genauen Daten der Analyse der NZZ findet man hier. Grundsätzlich gilt danach:
Im Süden, wo der meiste Strom verbraucht wird, sind die in einer NZZ-Analyse untersuchten Windräder an Land im Schnitt zu weniger als einem Fünftel ausgelastet. Überlebensfähig wären solche Anlagen ohne hohe Fördersummen nicht. Gebaut wurden sie trotzdem – weil Fondsgesellschaften hohe Renditen versprachen und fehlerhafte Windprognosen hohe Erträge.
Und da liest man dann im oben zitierten Interview mit Trittin:
Uns war klar, dass wir Atomkraft nicht nur über Protest auf der Straße verhindern können. Daraufhin haben wir in den Regierungen in Niedersachsen und später in Hessen versucht, Atomkraftwerke unrentabel zu machen, indem man die Sicherheitsanforderungen hochschraubt. 
Das war lt. Trittin natürlich fachlich geboten. So wie jetzt der Bau von Windenergieanlagen in ungünstigen Standorten? Oder bei der angeblich ergebnisoffenen Prüfung zum AKW-Entscheid? Jedenfalls setzt die Bundesregierung offensichtlich auf unrentable und immer höhere Windräder im Süden der Republik. Und das, obwohl auch hier Trittin schon bei der Atomkraft wusste:
Die Bürgerinitiativen, die sich damals in der Nähe geplanter Atomkraftwerke oder Endlagerstätten bildeten, bestanden vor allem aus Anwohnern, die sich ihre Heimat nicht kaputtmachen lassen wollten. Die wollten so einen Schiet nicht in der Nähe haben, wie man im Norden so sagt. 
Aber heute werden u. a. die Bürgerbewegungen gegen Windkraft beschuldigt, wenn es mit der Energiewende durch erneuerbare Energien nicht weitergeht. An dem grundsätzlichen Konzept vom Primat der erneuerbaren Energien als ganzes darf es, kann es ja nicht liegen – oder? Es muss der renitente Bürger sein, der die Klimaerwärmung nicht ernst genug nimmt. Allerdings,
Warum sich dieser über ein 250 Meter hohes Windrad vor seiner Haustüre freuen soll, wenn gleichzeitig dieselbe Berliner Regierung aus ideologischen Gründen die sichersten Kernkraftwerke der Welt ab- und dafür klima- und gesundheitsschädliche Kohlekraftwerke wieder anschaltet – es bleibt ein Rätsel in der nicht gerade rätselarmen Geschichte der deutschen Energiewende.

Aber eines ist mit der gegenwärtigen Regierung und in der aktuellen Medienlandschaft nicht absehbar, dass man die Strategie gründlich hinterfragt. Lieber kippen wir weiter Milliarden Euro unkritisch in Wind- und Solarparks – koste es, was es wolle. Obwohl es Signale gibt, dass dies nicht so einfach funktionieren wird:
Energietechniker, die nicht zur Energiewende-Lobby gehören, kritisieren schon lange, dass nicht mangelnder Ausbau das zentrale Problem ist, sondern das Konzept: Es fehlt unter anderem an einsatzfähiger Speichertechnologie, um die Energieversorgung bei schwankendem Wind sicherzustellen, und auch an Technologie für das notwendige Leitungsnetz. Nach Atomausstieg und Gasmangel fehlt es zudem an verlässlichen Energiequellen.

Wir müssen reden …
Die widersprüchlichste Energiepolitik der Welt

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Kommentare 15
  1. Hajo Neubert
    Hajo Neubert · vor 2 Jahren

    Sichere deutsche Kernkraftwerke?
    "IAEA reports that occurrences of severe weather disrupting the operation of nuclear power plants increased five-fold in three decades, between 1990 and 2019 (Figure 6), with a notable acceleration since 2009."
    https://pris.iaea.org/...

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 2 Jahren

      Und was sind die Schlußfolgerungen für die deutschen Kernkraftwerke daraus? Solche Unwetter stören garantiert auch die EE-Anlagen. Wahrscheinlich sogar stärker.

    2. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor 2 Jahren

      @Thomas Wahl mit anderen Folgen halt.

    3. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 2 Jahren

      @Marcus von Jordan AKW sind gegen Flugzeugabstürze und Bomben geschützt. Sie kommen durch Unwetter eigentlich nicht in kritische Zustände. Windparks schon.

      Und aus Fukushima hat man gelernt. Auch Kerntechnik durchläuft Lernkurven …..

    4. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor 2 Jahren

      @Thomas Wahl Lese dieser Tage immer wieder, dass Länder mit AKWs eigentlich sowieso nicht vernünftig zu verteidigen sind, wenn ein Angreifer entsprechend skrupellos ist.

    5. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 2 Jahren

      @Marcus von Jordan Ich finde, dass sich die Ukraine ziemlich vernünftig verteidigt. Was auch stimmt, Windparks sind kaum zu verteidigen. Wir gehen doch sonst auch nicht vom Kriegsfall aus - wenn ich den Zustand der Bundeswehr sehe.

      Übrigens lehrt die Erfahrung, dass Länder mit Atomwaffen nicht angegriffen werden. Was würde uns dass dann sagen? Das wir beides brauchen AKW und A-Bombenˋ

      Also das führt doch in eine ziemlich absurde Diskussion.

    6. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor 2 Jahren

      @Thomas Wahl allerdings.

  2. Jürgen Knopp
    Jürgen Knopp · vor 2 Jahren

    Dieser Beitrag wird nicht dadurch besser, dass emotionale Begrifflichkeit benutzt wird.
    Von krassen Lügen zu sprechen dient nicht dem politischen Diskurs sondern billigen Populismus. Ähnlich an anderen Stellen im Text.
    Man kann abweichende Meinungen , Deutungen und erst recht Fakten auch gemässigt formulieren. Dann erreicht man nachdenkende Menschen. Als solcher schreckt mich dieser Beitrag und leider auch der der NZZ ab.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 2 Jahren

      Durch solche emotionale Stellungnahme wird es aber auch nicht besser. Besser wäre die Behauptung der Lüge zu widerlegen. Man könnte es sicher auch als Halbwahrheit charakterisieren.

    2. T. Mähne
      T. Mähne · vor 2 Jahren

      @Thomas Wahl Trotzdem bleibt der Verweis auf die NZZ mindestens fragwürdig.
      Hier eine Einordnung/Aufarbeitung des NZZ Artikels:
      https://graslutscher.d...

    3. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 2 Jahren

      @T. Mähne Na ja, der Graslutscher dreht eine konkrete Kritik am spezifisch deutschen Weg in eine angebliche Ablehnung von Windkraft um. Was man von einem Lobbyisten auch erwarten kann. Vielleicht ist ihm auch aufgefallen, das die Kohlekraftwerke, trotz Auslaufmodell, doch über 30 % liegen? Er sagt es aber nicht.

      Er erzählt das Märchen von der ach so billigen Wind- und Solarenergie. Aber in der Realität steigt der Strompreis mit steigendem Anteil der EE.

  3. Leon Leuser
    Leon Leuser · vor 2 Jahren

    Man kann über den "deutschen" Weg in der Energiepolitik sicherlich streiten, der Artikel hier ist aber einfach nur billige Polemik die mich an meinen Energietechnikprof in 2007 erinnert...
    Empfehle stattdessen die Lektüre des aktuellen World Energy Outlook der IEA. Selbst wenn man ins überaus Atomeuphorische EU-Nachbarland Frankreich schaut sieht man, dass Kernenergie in der kritischen kurz-mittelfristigen Zukunft keine adäquate Lösung darstellt. Altmeiler rosten und Neuanlagen werden selbst bei Verfahrensbeschleunigung nicht vor 2035 erwartet...
    Die Erneuerbaren werden übrigens in allen EU-Ländern massiv ausgebaut. Selbst im Kohleland Polen.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 2 Jahren · bearbeitet vor 2 Jahren

      Erstens geht es nicht um entweder Kernenergie oder EE. Da wo es sinnvoll ist, soll man ausbauen. Zweitens beweist Frankreich nur, dass man Infrastrukturen sorgfältig pflegen sollte. Nicht aber, dass Kernkraft nicht Teil der Lösung sein kann. Das zu behaupten ist billige Polemik. Auch die EE werden 2035 noch keine abschließende Lösung liefern, wenn als alleinige Basis überhaupt. Und bei einem Anteil von ca. 60% sind die Mailer in F heute schon die wesentliche Säule. Mit Problemen, ja. Aber wo gibt es die nicht?

    2. Leon Leuser
      Leon Leuser · vor 2 Jahren

      @Thomas Wahl Ich lasse den Franzosen gerne ihre Kernkraft, glaube aber nicht, dass ihnen dieser Weg ökonomische Vorteile bringt. Eher im Gegenteil. Das Problem dort ist ähnlich jenem Deutschlands mit seiner Autoindustrie, man hat einen Industrie-Politischen-Komplex der sich mit Händen und Füßen gegen jegliche Veränderung stemmt. Resultat: weniger EE-Ausbau als Polen und die höchsten Strompreise in Europa...

      "oft liefern sie aber fast gar nix.": oft ist ja sehr weit interpretierbar. Ein Minimum von 25% Lastdeckung im Tagesdurchschnitt bei weitaus mehr Tagen mit deutlich höheren Werten klingt aber für den Laien etwas anders: https://twitter.com/ge...

    3. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 2 Jahren · bearbeitet vor 2 Jahren

      @Leon Leuser 25% bezieht sich auf die installierte Nennleistung, nicht auf die Lastdeckung. Die liegt im Jahresdurchschnitt in D durch EE bei 50%. Das es Stunden und Tage gibt, an denen EE auch den gesamten Strombedarf decken können, das bestreitet keiner. Nur bedeutet das eben einen erheblichen Aufwand. Letztendlich brauche ich die komplette Leistung noch mal in der Zeit wo fast nichts geliefert wird, das Minimum der Lastdeckung gegen Null geht. Was dieses Gesamtsystem so teuer macht. Zumal wenn die Anlagen in ungünstigen Regionen stehen. Dann bekomme ich eben übers Jahr z.B. nur 15% der installierten Leistung geliefert.
      Das der Industrie-Politische Komplex unserer EE-Wirtschaft das anders und sehr optimistisch darstellt ist zwar verständlich aber mindest genau so gefährlich wie eine einseitige AKW- Lösung. Wobei letztere keiner fordert.

      Im übrigen liegt der EE-Ausbau in Polen unter 20%, in D bei gut 50%.

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