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Fundstücke

Tiergartenmord – Russlands gefährlich langer Arm

Susanne Franzmeyer
Piqer für Radio Features
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Susanne FranzmeyerDonnerstag, 25.08.2022

"In aller Ruhe geht er zum am Boden liegenden Selimchan Changoschwili. Mit ausgestrecktem Arm zielt er mit einer Pistole mit Schalldämpfer auf dessen Kopf und drückt ein drittes Mal ab. Dann steigt er auf sein Rad und fährt davon. Einige Gäste bringen sich im Restaurant in Sicherheit. Zwei Männer laufen zu Changoschwili, doch der ist tot."

Das Feature "Russlands Staatsterror in Berlin – Mord im Tiergarten" von Silvia Stöber und Thomas Franke ist der reinste Krimi. Es handelt sich hier auch um einen Kriminalfall – die kaltblütige Ermordung eines ehemaligen Feldkommandanten im zweiten Tschetschenienkrieg auf deutschem Boden – und dieser wird für die Hörerschaft auf spannende Weise aufgewickelt.
Anhand der Gerichtsprozesse und zahlreicher Zeugenaussagen sowie Aufnahmen im Heimatdorf des aus Georgien stammenden Opfers rekonstruiert das Autorenteam detailliert die Geschehnisse und bettet sie in den Kontext, in dem es zum Mord kommen konnte. Das Bild, das dabei entsteht, ist ebenso eindrucksvoll wie erschreckend, denn es zeigt einmal mehr, wie skrupellos Russland über seine Grenzen hinweg sein brutales Vorgehen durchzusetzen vermag.

"Wir wissen, dass Europa, besonders Deutschland, demokratisch ist und dort läuft alles nach Gesetzen. Der Mensch, sein Leben ist dort beschützt. Das wissen wir gut. Als Selimchan in Deutschland ankam, war ich beruhigt. Aber Sie sehen ja: Ein Killer findet sein Opfer überall."

Was genau geschah am 23.08.2019 im Kleinen Tiergarten in Berlin? Welche Zeugen gab es und was können sie berichten? Wie kam es zur Verhaftung des Täters? Die rekonstruierten Zeugenaussagen gewähren detaillierte Einblicke:

"Wir kamen von einer Wohnungsrenovierung. Mit einem Bier haben wir uns unten auf die Treppe zur Lessingbrücke gesetzt. Dann sahen wir einen Mann mit einem Fahrrad in die Büsche am Ufer fahren, so drei, vier Meter von uns entfernt. (...) Wir sind die Treppe hoch und sahen seinen Schatten. Er warf das Fahrrad in die Spree, zog sich um, kurz war sein nackter Oberkörper zu sehen, dann kam er mit neuer Kleidung raus. (...) Ich rief die Polizei. Er hatte es offensichtlich eilig. Der machte das alles mit sehr großem Tempo. Mein Freund ist ihm dann hinterher."

Der Einsatz der beiden unter Zeugenschutz stehenden Männer zahlt sich aus: Der Mörder wird gefasst, noch ehe er mit einem in der Nähe bereitgestellten E-Roller flüchten kann. Bald schon fällt der Verdacht auf einen Auftragsmord des russischen Geheimdienstes.

"Es spricht einiges dafür, dass der russische Staat hinter dem Mord stehen könnte. Denn Selimchan Changoschwili war Feldkommandeur im zweiten Tschetschenienkrieg. (...) Der Mord im Kleinen Tiergarten war nicht der erste Versuch, Changoschwili umzubringen. In Deutschland hatte er einen Antrag auf politisches Asyl gestellt. Der wurde jedoch abgelehnt. Changoschwili sei nicht gefährdet, hieß es damals."

Selimchan überlebte bereits einen Anschlag in 2015, bei dem acht Kugeln auf ihn abgefeuert wurden. Die Behörden in Georgien hätten stümperhaft gearbeitet und den Anschlag nicht aufgeklärt - so die Ex-Frau des Opfers, die auch als Zeugin vor Gericht in Berlin aussagt. Sie berichtet auch von etlichen (weiteren) Morddrohungen, die sie und ihren Ex-Mann nach Kriegsende schon 2016 erreichten und die sie damals zur Anzeige gebracht hatte. Der Fall wird noch brisanter, als der Täter plötzlich unter Verdacht steht, eine doppelte Identität angenommen zu haben. Bald stehen zwei Namen im Raum, die offenbar ein und dieselbe Person betreffen. Das sollen Fotos, die unter anderem deckungsgleiche Tattoos der beiden Personen zeigen, belegen. Ein Angehöriger wird zweifach als Zeuge vorgeladen. Zu den Erkenntnissen der doppelten Identität des Auftragskillers trägt auch die beeindruckende Zeugenaussage eines Investigativjournalisten bei, der für Bellingcat diesbezüglich Recherchen anstellte.

" 'Sie sagen, dass es sich beim Angeklagten um Vadim Krasikov handelt und nicht, wie er selbst behauptet, um Vadim Sokolov. Wie kommen Sie zu dem Schluss?' - 'Die Daten zu Vadim Sokolov sind nicht schlüssig. Zum Beispiel seine Steuerakte, die ist unvollständig. Darin stehen auch Daten eines Inlandspasses, die anderswo nicht zu finden sind. Für uns ist das ein Beleg, dass es keinen Inlandspass gibt. Dazu kommt, dass die Akte von Sokolov in der Passadatenbank nur für hochrangige Beamte zugänglich ist. Normalerweise kommt jeder Polizist oder Grenzbeamte an die Daten.' - 'Und wie sind Sie daran gekommen?' - 'Wir haben einen Informanten mit höherem Dienstgrad gefragt. Der war allerdings verärgert, hat gesagt, er wolle nie wieder so brisante Fälle für mich anschauen. Sokolovs Akte war besonders geschützt. Ab da wusste ich, dass da viel zu erwarten ist. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass eine solche Person nicht existieren kann. Der Staat muss an der Erschaffung der Person beteiligt gewesen sein. Sokolov muss also eine Scheinidentität sein.' "

Der Journalist liefert unglaubliche Ergebnisse seiner Recherchen, die auch Einblicke in die Vorgehensweise der Geheimdienste gewähren:

" 'Der Inlandsgeheimdienst FSB wendet in solchen Fällen ein bestimmtes Verfahren an. Der Vorname und das Sternzeichen der Mitarbeiter wird beibehalten. Das Geburtsdatum wird oft um ein Jahr zurückdatiert. Bei Sokolov war das anders, deshalb hatten wir zunächst Schwierigkeiten. Fündig wurden wir, als wir Sokolovs Geburtsjahr um fünf Jahre verschoben haben und nach vergleichbaren Mordtaten suchten. Das führte uns zur Person Vadim Krasikov. (...) 2013 ist in Moskau ein Geschäftsmann getötet worden. Der Mörder kam mit einem Fahrrad und hat eine Pistole benutzt. Die russischen Behörden haben daraufhin Krasikov international mit einem Foto zur Fahndung ausgesetzt, auch bei Interpol. (...) Ungewöhnlich, war, dass es eine Strafakte von Krasikov gibt, die aber leer war. Unsere Quelle erklärte das damit, dass Einträge gelöscht wurden. So etwas können nur Geheimdienste. (...) Ich schließe daraus, dass Krasikov auf einen Einsatz vorbereitet werden sollte. Meinen Recherchen zufolge wurde die Akte Krasikov gesäubert, als der Mord in Berlin vorbereitet wurde.' "

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