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Medien und Gesellschaft

"Pioneer One": Das Steingart-Schiff hat Schlagseite

Simon Hurtz
Journalist, Dozent, SZ, Social Media Watchblog

Mag es, gute Geschichten zu erzählen.
Mag es, gute Geschichten zu lesen.
Mag es, gute Geschichten zu teilen. Das tut er hier.
Mag es gar nicht, in der dritten Person über sich zu schreiben.

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Simon HurtzSamstag, 10.10.2020

Schon wieder Gabor Steingart? Muss das wirklich sein? Tatsächlich habe ich mich an dieser Stelle schon öfter mit dem, sagen wir, schillernden Medienmacher beschäftigt. Trotzdem hat dieser dritte Steingart-piq seine Berechtigung, denn die Recherche von Simon Book und Anton Rainer zeigt: Die Pioneer One, das "Patrouillenschiff der Demokratie", wie Steingart es nennt, kreuzt in Gewässern, die mit Journalismus nur noch wenig zu tun haben.

Im vergangenen Jahr empfahl ich ein Interview, das nur aus Fragen bestand: Steingart hatte bei der Autorisierung so stark eingegriffen, dass der Journalist lieber Weißraum druckte. Unter anderem fragte Catalina Schröder damals:

Sie lassen gerade ein Schiff bauen, das ab Frühjahr 2020 Ihr Redaktionssitz werden soll und täglich auf der Spree fahren soll. Wieso braucht Journalismus ein Schiff?

Seit fünf Monaten schippert die Pioneer One nun auf der Spree, aber die Antwort auf die Frage ist Steingart schuldig geblieben. Bei Media Pioneer arbeiten kluge Kollegïnnen, die ich schätze. Aber am Ende gibt den Kurs immer noch Steingart vor – und der Herausgeber steuert in eine fragwürdige Richtung.

20.000 Euro soll die Pioneer One pro Monat kosten, doch Steingart beteuert, dass es ihm ohnehin nicht um Geld und Gewinne gehe:

Was ihn interessiere, sei die Idee: die Pioneer One als Dienst an der Demokratie, ihre Mission ein Aufbruch in "eine neue journalistische Zeit", in der "unbequeme Wahrheiten" gesucht werden. Bezahlt werden soll die Sache von den Lesern, auf Werbeanzeigen von Konzernen verzichtet er bewusst, angeblich um "unabhängig" arbeiten zu können.

Doch der Lärm sei, schreiben die beiden Spiegel-Journalisten, wohl eher ein Versuch, das wankende Geschäftsmodell zu retten. Der Text selbst ist Abonnentïnnen vorbehalten, und ich will Spiegel+ nicht so dreist torpedieren, wie Focus Online das mit den Bezahlinhalten der Bild-Zeitung macht. Deshalb beschränke ich mich auf einige Eckpunkte:

  • Nur ein kleiner Teil der angeblichen Unterstützerïnnen, mit denen sich Steingart brüstet, hat tatsächlich Geld bezahlt. Er hatte vorab zahlreiche Prominente, darunter etwa Ex-Telekom-Chef René Obermann und Altkanzler Gerhard Schröder, als Premium-Abonnentïnnen gewinnen wollen. Offenbar haben mehrere der Angefragten abgesagt – und finden sich trotzdem auf einer Liste mit vermeintlichen Förderïnnen.
  • Mehrere Großunterstützerïnnen tauchen wohl nicht ganz zufällig regelmäßig als Gast im Podcast des "Morning Briefing" auf, werden interviewt oder dürfen als "Pioneer Expert" mit eigenem Autorenprofil schreiben.
  • Steingart, der sich selbst als einen der letzten unbestechlichen und unabhängigen Journalisten Deutschlands inszeniert, lässt sich schon mal von einer Privatbank, die sein Schiff charterte, als Redner engagieren.
  • Steingart versuchte, die Veröffentlichung der Recherchen mithilfe seines Medienanwalts zu verhindern. Der Spiegel habe Daten "ausgespäht", deshalb behalte man sich "sämtliche denkbaren rechtlichen Schritte vor". Auf einen schriftlichen Fragenkatalog antwortete eine Sprecherin: "Ihre Fragen enthalten ein wildes Gemisch aus Spekulationen, Gerüchten und falschen Aussagen."
  • Mittlerweile gehen auch Redaktionsmitglieder und Mitarbeiterïnnen auf Distanz. Marina Weisband und Richard Gutjahr, die beide als Podcast-Moderatorïnnen angeheuert hatten, sind irritiert ob der raunenden Briefings und publizistischen Eskapaden des Herausgebers. Weisband will eine öffentliche Diskussion mit Steingart führen, Gutjahr wird nicht mehr moderieren.

Chefredakteur Michael Bröcker drückte es kürzlich so aus:

Ich trage sicher nicht alles mit, was er schreibt und tut und macht, (...) aber wir vertrauen uns, und ich schätze ihn als einen der sehr wenigen mutigen, visionären und genialen Journalisten in diesem Land. Ich bin froh, dass ich ihn als Herausgeber habe. Und das heißt trotzdem nicht, dass ich mit allem einverstanden bin, was er jeden Tag in seinem Leitartikel, dem "Morning Briefing", schreibt.

Ich halte es eher mit Thomas Knüwer, der sich vorgenommen hatte, ein halbes Jahr lang das "Morning Briefing" zu lesen. Nach vier Monaten gab er auf:

Sechs Monate kann ich nicht durchhalten. Weniger aus zeitlichen Gründen, tatsächlich erfordert das Nachrecherchieren meist deutlich weniger als 5 Minuten. Nein, es ist meine persönliche Psychohygiene, die mich das Projekt nach vier Monaten abbrechen lässt.
"Pioneer One": Das Steingart-Schiff hat Schlagseite
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Kommentare 19
  1. Stefan P.
    Stefan P. · vor 4 Jahren

    Danke für den Beitrag. Ich reibe mich auch seit einiger Zeit an ihm. Zu viel Pointe der pointierten Formulierung wegen, oft respektlos gegenüber Akteuren. https://stefanpfeiffer...

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