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Über rassistische Äußerungen gestolpert

Jürgen Klute
Theologe, Publizist und Politiker
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Jürgen KluteSamstag, 18.11.2023

Der Vorsitzende der belgisch-flämischen sozialdemokratischen Partei „Vooruit“, Conner Rousseau, ist über rassistische Äußerungen über Roma gestolpert. Zunächst wurde er von einem Gericht aufgrund einer Klage von Seiten der Beleidigten dazu verpflichtet, die Gedenkstätte in der Dossin-Kaserne in Mechelen zu besuchen. Dort haben die Nazis während der Besetzung Belgiens Juden und auch Roma zunächst interniert und dann mit Zügen in Vernichtungslager transportiert. Weiterhin wurde Rousseau dazu verpflichtet, ein Jahr lang mit einem Therapeuten sein Sprachverhalten zur reflektieren und zu verändern. Das berichtete die niederländischsprachige Zeitung „Bruzz“ am 16. November 2023 (Brusselse Roma over therapie voor Conner Rousseau: 'Proces behoort nog tot de opties').

Michael Stabenow hat in seinem Beitrag für das deutschsprachige Nachrichtenportal „Belgieninfo“ die steile Karriere des erst 31-jährigen Rousseau und ihr vorläufiges Ende nachgezeichnet.

Für deutsche Leserinnen und Leser ist dies Geschehen nicht unmittelbar von Belang. Schaut man jedoch zurück auf den unvergleichlich größeren Skandal um das Flugblatt, dass der stellvertretende bayerische Ministerpräsident Hubert Aiwanger nach Aussagen von Zeugen als Schüler veröffentlicht hat und der noch immer im Amt ist und mittlerweile sogar durch eine Wahl bestätigt wurde, dann ist dieser Artikel über den Rücktritt des Vorsitzenden der flämischen Sozialdemokraten m.E. doch interessant. Denn der Rücktritt verdeutlicht, wie eine demokratische Kultur aussehen sollte und die gerichtlichen Maßnahmen zeigen zudem, wie eine stabile demokratische Gesellschaft mit rassistischen Äußerungen umgehen kann und sollte – vor allem, wenn sie aus dem Mund von hochrangigen Politikern kommen. Denn Politiker stehen eben nicht über dem Recht, sondern sie sollten sich ihrer Vorbildrolle bewusst sein und mehr noch als andere Menschen darauf achten, diskriminierende Aussagen zu unterlassen. 

Über rassistische Äußerungen gestolpert

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Kommentare 24
  1. Marcus von Jordan
    Marcus von Jordan · vor einem Jahr

    Geht es nur mir so...?
    Es schüttelt mich, wenn ich lese, dass jemand dazu verpflichtet wurde, eine Gedenkstätte zu besuchen und sein Sprachverhalten mit einem Therapeuten zu reflektieren. Ich finde Rechtsprechung, die versucht in die Gesinnung eines Menschen regulierend einzugreifen, gleichermaßen hilflos wie übergriffig. Es zeigt für mich eine völlig unangemessene und geradezu pervertierte Selbstwahrnehmung öffentlicher Gewalt. Ähnlich wie diese peinlichen Forderungen jüngst aus der Union, dass man allen muslimischen Einwanderern irgendein diffuses Bekenntnis zu Israel abpressen müsste.
    Also bei einem 16jährigen Straftäter vielleicht. Aber bei einem Parteivorsitzenden? Das müsste sich doch über Partei und Wähler und vielleicht noch Presse regulieren. Und wenn nicht, dann sieht man doch eben offensichtlich auf ein Problem, das sich kaum durch solche symbolischen Eingriffe behandeln lassen wird.

    1. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor einem Jahr

      Ja, geht mir ähnlich ... wenn sich der Staat als therapeutische Einrichtung aufspielt.

    2. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor einem Jahr

      Ja, ich glaube auch, dass das Menschenbild und die Vorstellungen, wie Weltbilder und Ideologien funktionieren nicht stimmen. So ändert man keine Einstellungen. Fördert aber das verdeckte Agieren, verhindert das Reden. Bis es dann mit Macht ausbricht ….

    3. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor fast ein Jahr

      @Thomas Wahl Ich lebe seit einigen Jahren in Belgien. Und ich erlebe das hier in Belgien schlicht anders, als du es hier unterstellst.

    4. Cornelia Gliem
      Cornelia Gliem · vor einem Jahr

      ich empfinde da auch ... Unbehagen - allerdings nimmt es doch apologetische aussagen von jmd wie Rousseau oder Aiwanger ernst, die immer bzw oft behaupten es nicht so gemeint zu haben bzw. es frühere Sünden wären etc. Hierbei dürfte Reflexion des Sprachgebrauchs genau richtig sein. Zudem geht es hier um Gestaltung einer ausgesprochenen Strafe, hier wird doch oft gemeinnützige Arbeit oder Therapie etc. ausgesprochen - und zwar als mildere und sozial verträgliche Strafe...

    5. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor einem Jahr

      @Cornelia Gliem dass das helfen könnte, stelle ich gar nicht in Abrede. Müsste der Betroffene sich aber darauf einlassen und woher sollte das kommen, wenn er vorher in der Lage war, sich derartig abzuschotten. Gemeinnützige Arbeit als Strafe steht für mich auf einer ganz anderen Seite tatsächlich und da habe ich keinerlei Unbehagen. Aber einen erwachsenen Mann (erfolgreichen Politiker) zu zwingen eine Gedenkstätte zu besuchen? Und ihm wie einem Kind seine "falsche Sprache" erklären? Für mich gehört das einfach nicht in die Rechtsprechung und ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass es in so einem Fall sogar gegenteilig zum Erwünschten wirken wird.

    6. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor einem Jahr

      @Marcus von Jordan Na ja, in den belgischen Medien gibt es schon eine Diskussion dazu. Eine Mehrheit findet diese Strafe angemessen (in Belgien wird Rassismus und Hetze konsequenter als in Deutschland strafrechtlich verfolgt), will Rousseau aber dann auch eine 2. Chance geben.

      Ich finde dieses Vorgehen der belgischen Justiz richtig. Die Maßnahmen sind übrigens noch keine Strafe. Die Kläger haben noch immer die Möglichkeit, einen Strafprozess durchzusetzen gegen Rousseau, der dann u.U. sogar zu einer Gefängnisstrafe führen kann. Insofern gibt es schon eine Motivation für Rousseau, sein Sprachverhalten zu reflektieren.

      Dass die belgische Justiz hier einen ranghohen Politiker vorgenommen hat, halte ich deshalb für richtig, weil damit klar in die Gesellschaft kommuniziert wird, dass Rassismus nicht toleriert wird – erst recht nicht bei prominenten Persönlichkeiten, weil sie das Verhalten anderer Menschen beeinflussen. Das zeigt sich ja am Fall Aiwanger. Er wurde nicht sanktioniert. Offensichtlich haben WählerInnen das als Bestätigung dafür aufgefasst, dass antisemitische Positionen gesellschaftsfähig sind und Aiwanger hat davon bei den Wahlen dann auch noch profitiert. Die belgische Gerichtsentscheidung gegen Rousseau vermittelt eine klare völlig andere Botschaft in die Gesellschaft. Und die wird in der Gesellschaft mehrheitlich nach den Debatten in den Medien wohl gestützt. Regelbrüche werden nicht akzeptiert: Auch nicht, wenn sie von prominente Politikern kommen. Von der politischen und demokratischen Kultur Belgiens – es gehört schließlich zu den ältesten und stabilsten Demokratien Europas – könnte die Bundesrepublik noch etliches lernen.

    7. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor einem Jahr

      @Jürgen Klute Danke für die Erläuterung.

      Es ist ja auch wirklich nur meine Meinung oder mein Gefühl dazu. Das ist völlig unabhängig von der belgischen Debatte oder der Mehrheitsmeinung dort. Sicherlich wollte ich nicht vorschlagen, dass Rousseau nicht zu bestrafen wäre, wenn ihm rechtsbrüchiges Verhalten nachzuweisen ist. Sondern davon, dass ein Gericht aus meiner Sicht dann eben zuständig ist für seine Bestrafung und nicht für seine Erziehung. Ich glaube auch, dass eine klare Strafe in € und oder Sozialstunden die souveränere und leichter zu kommunizierende Strafe gewesen wäre. Das beinhaltet ja natürlich auch eine gewisse Demütigung von Rousseau und wird der weiteren Lagerbildung Vorschub verschaffen.

      Ich nehme die Causa Aiwanger anders wahr als als du. Ich glaube nicht, dass Menschen daraus gezogen haben, dass antisemitische Äußerungen gesellschaftsfähig ist. Dafür war der Wind dann doch zu kalt, der ihn da angeblasen hat. Da geht es eher um Stammesverhalten - der Träger der Kritik an Aiwanger war der feindliche Stamm des linksgrünversifften Establishmentmainstreams und gegen den sind die Reihen der Mitglieder des rechtskonservativen Stammes geschlossen worden (inklusive Wahlerfolg). Deshalb auch das Wegducken von Söder, der in seiner opportunistischen Intelligenz sofort begriffen hat, dass er den stammesinternen Konflikt verlieren würde, weil es eben gegen "die anderen" ging.

    8. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor fast ein Jahr

      @Marcus von Jordan Dein Gefühl kann ich schon nachvollziehen. Anfangs fand ich die gerichtlichen Maßnahmen auch etwas ambivalent. Aber in der belgischen Gesellschaft wird das offensichtlich etwas anders wahrgenommen, soweit ich das dem einen und anderen Artikel in flämischen Zeitungen entnommen habe.

      In der belgischen Gesellschaft scheint es nach meiner Wahrnehmung ein größeres Gespür und eine größere Ablehnung von Rassismus und Diskriminierung zu geben als in Deutschland. Das heißt nicht, dass es das nicht gibt, aber der Widerstand ist viel deutlicher als in Deutschland. Das spiegelt sich u.a. darin wider, dass jede/r, der/die die belgische Staatsangehörigkeit beantragt, handschriftlich in das Formular eintragen muss, dass er/sie die vom belgischen Volk erlassene Verfassung, die vom belgischen Volk erlassenen Gesetze und die allgemeinen Menschenrechte und Freiheitsrechte anerkennt und respektiert. Auch Religionsgemeinschaften und weltanschauliche Gemeinschaften, die sich staatlich anerkennen lassen wollen (dann gibt es Geld und auch Sendezeit in den ÖRR-Medien), müssen eine vergleichbare Erklärung unterzeichnen.

      Insgesamt hat sich nach meinem Eindruck also in der belgischen Gesellschaft seit der Gründung des heutigen belgischen Staates 1830 (der König kam erst etwas später dazu) eine kulturell tief verankerte Liberalität und ein Bewusstsein von Freiheit entwickelt, in dessen Zentrum eher Gleichheit und Respekt und die Menschenrechte stehen. Da hat Deutschland ja nun mal eine etwas andere Tradition. Im modernen Belgien gab es nie eine Diktatur oder Gewaltherrschaft. Das spürt man dann doch.

      Zu Aiwanger: Meinst du nicht, dass es ein Signal an Antisemiten und Rassisten ist, dass jemand wie Aiwanger mit seinem Flugblatt erneut der bayrischen Regierung angehören kann und sogar stellvertretender Ministerpräsident geworden ist? In der belgischen Gesellschaft wäre so etwas undenkbar. Es gibt ja auch in Belgien – genauer im flämischen Teil – eine faschistische Partei: Den Vlaams Belang. Wie mir mal jemand sagte, finden sich unter den Mitgliedern des Vlaams Belang auch Namen von Familien, die Nazi-Kollaborateure waren. Bis heute gilt in Belgien über alle Parteigrenzen hinweg (einschließlich der nationalistischen flämischen Partei N-VA), dass keine demokratische Partei mit dem Vlaams Belang politisch zusammenarbeitet.

      Das heißt, die belgische Gesellschaft hat bisher eine Politik der scharfen Abgrenzung gegen die Faschisten vom Vlaams Belang verfolgt. Die gerichtliche Reaktion auf Rousseau muss m.E. in diesem Kontext gesehen werden.

      Ob diese Politik weiter durchgehalten wird, wird sich dann im Juni 2024 bei den föderalen und regionalen Wahlen zeigen. Immerhin zeigen sich auch in Belgien beträchtliche politische Veränderungen ab.

    9. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor fast ein Jahr · bearbeitet vor fast ein Jahr

      @Jürgen Klute Also wenn in Belgien sogar junge Sozialdemokraten wie Rousseau tief rassistische Äußerungen tätigen können ohne aktuell die Politik verlassen zu müssen, dann kann es nicht weit her sein mit der tiefen Ablehnung von Rassismus. Dem will man eine Chance geben. Aiwanger mit seinem (oder seines Bruders) Flugblatt von vor mehr als dreißig Jahren (als er noch jünger war als Rousseau) aber nicht? Da sind doch die Maßstäbe kolossal verrutscht.

    10. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor fast ein Jahr

      @Thomas Wahl Einfach hinschauen: Er ist von seinem Amt zurückgetreten.

      Aiwanger hat sich ja bisher nicht distanziert von seiner antisemitischen Hetzschrift. Hätte er glaubhaft machen können, dass er mit dem Flugblatt aus seiner Schulzeit einen Fehler gemacht hat, dann hätte er selbstverständlich eine zweite Chance verdient. Nur das hat er gerade nicht gemacht.

    11. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor einem Jahr · bearbeitet vor einem Jahr

      @Jürgen Klute Offensichtlich tolerieren große Teile der belgischen Bevölkerung die Äußerung des Herren Rousseau, sonst würde er und seinesgleichen nicht gewählt. Da hilft auch nicht, das die Justiz ein Signal sendet. Eher im Gegenteil scheint das Vertrauen in Staat und Justiz dadurch bei vielen zu sinken. So auch mit Aiwanger in D. Die Idee, man könne jemanden für eine viele Jahre alte, nicht ganz geklärte Äußerung als Jugendlicher sanktionieren, das Volk damit erziehen, halte ich für aberwitzig. Und einer Demokratie unwürdig. Wie man sieht, funktioniert diese Strategie auch nicht. Was lehrt uns das?

      Was genau sollen wir von Belgien lernen? Wo auch (besoffene) Sozialdemokraten sich rassistisch äußern. Auch dort nehmen ja rechte Parteien zu. Noch streiten sie zwar, was aber keine Versicherung darstellt.
      https://www.euractiv.d...

      Wenn ich das lese:
      "Schenkt man den Prognosen Glauben, würden die Rechtsextremisten die Nationalisten als größte Partei in Flandern ablösen. Vlaams Belang würde auch die Initiative zur Bildung einer flämischen Regierung erhalten. Das ist ein Schritt, den die N-VA überspringen möchte. Vielleicht weil ein Teil ihrer Anhänger auch der Meinung ist, dass der N-VA diese Initiative zusteht, wenn sie und Vlaams Belang eine Mehrheit im flämischen Parlament haben, ohne auf eine dritte Partei angewiesen zu sein" - möchte ich da eher nicht von Belgien lernen. Ist das Land politisch nicht schon länger notorisch instabil?

      https://www.vrt.be/vrt...

    12. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor fast ein Jahr

      @Thomas Wahl Nein, die Äußerungen von Rousseau werden nach den flämischen Medien keineswegs von einer Mehrheit akzeptiert. Eine Mehrheit hält die gerichtlichen Maßnahmen für angemessen, will ihm aber (er ist 31 Jahre alt) auf Dauer eine zweite Chance geben. Das ist nur fair. Als Parteivorsitzender wurde Rousseau ja lange vor diesen Äußerungen gewählt.

      Zu Belgien noch einmal: Belgien ist eine der ältesten und stabilsten Demokratien weltweit. Seit der Gründung des heutigen belgische Staates in 1830 (der König kam erst etwas später aus politisch-taktischen Gründen dazu) hat sich Belgien aus der gesellschaftlichen Mitte heraus (im Mittelalter war Belgien die dichtes Städteregion Europas mit einem entsprechenden städtisch geprägten selbstbewussten Bürgertum) zu einer stabilen Demokratie entwickelt. In der belgischen Gesellschaft gab nie einen Diktator oder eine Gewaltherrschaft. Auch wurde die Polizei und die Armee nie zur Unterdrückung der belgischen Gesellschaft missbraucht – während in Deutschland seit preußischen Zeiten die Polizei ein Instrument in den Händen der Obrigkeit war, um die Gesellschaft zu kontrollieren und die Obrigkeit vor allzu viel demokratischem Eifer aus der Bevölkerung zu schützen.

      Die Sprachgrenzen sind in Belgien ein schwieriger Teil. Aber auch daran ist Deutschland nicht ganz unbeteiligt. Während der Besetzung Belgiens durch deutsche Armeen im 1. und 2. Weltkrieg nutzten die deutschen Besatzer die beiden Sprachgruppen, um sie gegeneinander auszuspielen und Belgien leichter kontrollierbar zu machen.

      Ab 1920 ist dann noch die dritte Sprache in Belgien hinzugekommen: die deutschsprachigen Ostkantone, die als Entschädigung für die deutschen Kriegsschäden Belgien zugesprochen wurden. 1939 bis 1945 waren die Ostkantone dann wieder deutsch. Danach wurden sie wieder belgisch. Heute ist Deutsch die dritte Amtssprache in Belgien. Der Prozess dorthin war nicht ganz einfach. Vor diesem komplexen Hintergrund ist es schon beeindruckend, wie die belgische Gesellschaft im Rahmen demokratischer Aushandlungsprozesse diese Spannungen, die bis in die 1980er Jahre zu heftigen innergesellschaftlichen Konflikten führten, aufgelöst und geregelt hat.

      In der deutschen Sprachgemeinschaft in Ostbelgien hat das dortige Parlament der Sprachgemeinschaft 2019 einen permanenten Bürgerdialog per Gesetz eingeführt. Das ist derzeit das fortschrittlichste Modell partizipativer Demokratie.

      Natürlich muss man von solchen Erfahrung nicht lernen wollen. Aber der deutschen Gesellschaft, die ja nun nicht gerade über ein Übermaß an demokratischer Geschichte und demokratischem Eifer verfügt, täte es gut, von einer der ältesten und stabilsten Demokratie zu lernen. Gerade weil Belgien zeigt, wie eine Demokratie innergesellschaftliche Spannungen konstruktiv lösen kann.

      Dazu kommt eine vorbildliche Integrationspolitik in Belgien. Und es gibt bis heute eine klare Abgrenzung aller demokratischen Parteien im Blick auf eine politische Zusammenarbeit mit der faschistischen Partei Vlaams Belang. In Deutschland sucht man statt dessen gerade nach Kooperationsmöglichkeiten mit der faschistischen AfD. Dass mit der AfD im Bundestag, in den Landtagen und in vielen Kreistagen und Kommunalparlamenten heute wieder eine nationalsozialistische Partei fest verankert ist, wird in Deutschlands Nachbarländern durchaus zur Kenntnis genommen. Mit Sorge. Denn: Wenn die EU scheiter, dann wird sie vermutlich an Berlin scheitern.

    13. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor fast ein Jahr · bearbeitet vor fast ein Jahr

      @Jürgen Klute Entscheidend ist doch nicht die Abgrenzung der Parteien. Die gibt es in D genau so. Entscheidend sind die Wählerstimmen. Die steigen in anderen europäischen Ländern rechts mindest ebenso wie in D - ob man die nun Nationalsozialistisch, Rechtsextrem oder Rechtspopulistisch nennt. Die eins zu eins-Übertragung der deutschen Nazizeit auf heute ist dabei nur bedingt hilfreich. Europa würde übrigens auch scheitern, wenn in D nur moralisch über jeden Zweifel erhabene Linksparteien existieren würden, der Rest des Kontinents sich aber rechts orientiert.

      Mir scheint eher, das Belgien weniger selbstkritisch ist bei der Aufarbeitung seiner Geschichte, besonders seiner Kolonialgeschichte. Was ich da im Museum (ich glaub im Atomium?) gesehen habe war haarstreubend. Und nicht nur die taz kritisiert z.B hier die Aufarbeitung.

      https://taz.de/Aufarbe...

      Belgien durch die auf seine Geschichte zurückgehende kulturelle Vielfalt zu steuern war bestimmt nicht einfach und ist sicher eine große Leistung. Aber die Konflikte sind ja nicht verschwunden. Wie auch immer es bringt nichts andere europäische Staaten zu idealisieren und D als Hort des Bösen darzustellen. Allerdings AfD & Co. freuen sich …..

    14. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor fast ein Jahr · bearbeitet vor fast ein Jahr

      @Thomas Wahl Nach den Rassistischen Äußerungen von Rousseau hat es in Belgien aber noch gar keine Wahlen gegeben. Also kann man auch kein sinnhafte Aussage über Akzeptanz von Rousseau bei den WählerInnen machen. Die nächsten Wahlen in Belgien finden am 9. Juni 2024 statt. Erst danach zeigt sich, wie die WählerInnen auf Rousseaus Entgleisung reagieren.

      Was die rechten Parteien in anderen europäischen Ländern angeht, fällt zumindest auf, dass sie in der Regel nicht den völkischen Rassismus der deutschen Nazis teilen. Äußerungen wie von Höcke, dass man Re-Migrationsprogramme durchführen will und dass es dabei auch zu Verlusten kommen kann, hört man so nicht aus den anderen rechten Parteien. Das sollte man als Deutscher wissen und zur Kenntnis nehmen.

    15. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor fast ein Jahr

      @Jürgen Klute Ich kenne nicht die gerade aktuelle Stimmungslage bei den belgischen Bürgern. In meinem Link oben steht aber: "Jüngsten Umfragen zufolge ist die rechte Partei Vlaams Belang (Identität und Demokratie) auf dem Vormarsch und könnte bei den Wahlen 2024 stärkste Kraft in Flandern, dem flämisch-sprachigen Teil von Belgien, und auf der föderalen Ebene werden, wie die Nachrichtenagentur Belga am vergangenen Freitag (25. August) berichtete." Der Trend wird wohl durch die Äußerungen von R. vermutlich nicht gebrochen?

    16. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor fast ein Jahr

      @Thomas Wahl In Belgien gibt es keine nationalen Parteien. Parteien gibt es nur auf regionaler und kommunaler Ebene und auf der Ebene der Sprachgemeinschaften. Die föderale Regierung wird in der Regel aus den Parteien gebildet, die auf der Ebene der drei Regionen die meisten Stimmen hat. Die Wallonie ist traditionell links, Brüssel ist eher links-grün. Selbst wenn der Vlaams Belang so stark würde in Flandern, dass er nicht aus der Föderalregierung herausgehalten werden könnte, wäre er auf föderaler Ebene nur eine Minderheit in einer größeren recht bunten Koalition. Aber die Wallonen würden nicht akzeptieren, dass der Vlaams Belang in eine föderale Regierungskoalition aufgenommen wird. Zudem ist die politische Macht in Belgien so verteilt, dass die föderale Regierung eher begrenzte innenpolitische Möglichkeiten hat. Wie schon gesagt, Belgien ist eine reifere und erfahrenere Demokratie als die Bundesrepublik Deutschland und sie weiß sich seit knapp 200 Jahren erfolgreich gegen Demokratiefeinde zu wehren.

    17. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor fast ein Jahr · bearbeitet vor fast ein Jahr

      @Jürgen Klute Naja, viele Bundesländer waren auch mal traditionell links. Das ist doch nun wirklich keinerlei verläßliche Grundlage. Wir werden sehen. Mir scheint die Trends in Europa bestätigen diese Selbstgewißheit nicht.

      Waren die belgischen Kolonialherren Freund der Demokratie? Der Kongo wurde von der so reifen Demokratie erst 1960 nach blutigen rassistischen Kriegen in die Unabhängigkeit entlassen. Und die Frauen erhielten erst 1948 das Wahlrecht.

    18. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor fast ein Jahr

      @Thomas Wahl Vielleicht lohnt es, erst mal ein bisschen in die belgische Geschichte zu schauen, bevor man lospoltert und auch in die deutsche Kolonialgeschichte.

      Der Kongo war zunächst Privateigentum von König Leopold I. Weder die belgische Regierung noch das belgische Parlament hatte ein Interesse an Kolonien. Erst als die Zustände im Kongo absolut unerträglich wurden, hat sich der belgische Staat dazu bereiterklärt, König Leopold I. den Kongo zu enteignen und in staatliches Eigentum zu überführen, um die schlimmsten Auswüchse zu beenden. Nur deshalb hat der belgische Staat überhaupt eine Kolonie gehabt.

      Trotzdem wat es eine Kolonie. Seit einigen Jahren arbeitet die belgische Politik und Gesellschaft diese dunkle Phase auf. Eben in einem demokratischen Prozess. Was mensch von Deutschland so nicht sagen kann. Abgesehen davon gilt Deutschland wohl nach wie vor als eine der brutalsten Kolonialmächte. Und: Die deutsche Kolonialgeschichte endete nicht 1918, sondern erst 1945. Der Krieg gegen Polen un die Sowjetunion waren ein Kolonialkrieg und wurde von den Nazis auch so bezeichnet. Polen und die heutige Ukraine waren gedacht als Osterweiterung des deutschen Reichs – in gewisser Weise anknüpfend an das Kolonialprojekt des Deutschen Ordens. Und dieser letzte deutsche Kolonialkrieg hat Millionen Zivilisten den Tod gebracht. Also: Bevor mensch als Deutscher über die Kolonialgeschichte anderer europäischer Länder zu reden, immer erst auf die Brutalität der eigenen Kolonialgeschichte gucken.

    19. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor fast ein Jahr

      @Jürgen Klute Also andere Länder haben doch ihre Grenzen schon dicht gemacht. Nicht nur in Skandinavien. Und all diese Länder suchen nach Möglichkeiten der Ausweisungen nicht asylberechtigter Migranten. Und das Höcke&Co.die einzig so rechtsradikalen Politiker in Europa sind, das halte ich für höchst unwahrscheinlich. Ich kenne z.B. nicht alle Äußerungen von Wilders, aber das er die Zahl etwa der Marokkaner in NL reduzieren will, dass hört man schon.

    20. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor fast ein Jahr

      @Thomas Wahl Ich habe von völkischen Rassismus gesprochen. Zum anderen: Selbst die nationalistische flämische N-VA will keine Migranten aus Belgien deportierten, wie die AfD es fördert. Auch Le Pen nicht. In der Regel geht es den anderen rechten Parteien um eine Begrenzung des Zuzugs, aber um den Rauswurf von im Land lebenden Menschen. Erst Recht nicht, wenn sie im Falle Belgiens belgische Staatsangehörigkeit haben. Das ist ein deutlicher Unterschied zu Deutschland, der aber vielleicht nur auffällt, wenn mensch mal von außen auf Deutschland schaut.

    21. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor fast ein Jahr

      @Jürgen Klute Hier bin ich raus aus der Diskussion. Das wird mir zu unsachlich. Ich hab Deutschland oft genug von außen gesehen und die deutsche Geschichte kenne ich gut. Aber nicht nur die.

    22. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor 12 Monaten

      @Marcus von Jordan Ich verstehe aber nicht, weshalb das Erwachsensein von Rousseau und seine politische Funktion eine Begründung dafür sein sollte, dass er für sein Fehlverhalten nicht zur Verantwortung gezogen wird. Gerade als Erwachsener und als ein prominenter Politiker muss er sich der Wirkung seiner Worte bewusst sein und sich auch im Griff haben. Dieser Anforderung hat er nicht entsprochen. Folglich ist es doch angemessen, ihn dafür zur Verantwortung zu ziehen.

      Das Nachrichtenportal Bruzz schreibt dazu:

      "Die gemeinnützige Organisation reicht eine Rassismus-Klage wegen Aufstachelung zu Hass und Gewalt ein. Das schreibt Het Laatste Nieuws und die asbl bestätigt dies gegenüber BRUZZ. Denn genau das hat Conner Rousseau nach Ansicht der Organisation getan, als er der Polizei Anfang letzten Monats nach dem Friedensfest in Sint-Niklaas gesagt haben soll, dass sie 'ihre Schlagstöcke besser ein bisschen mehr einsetzen' sollten gegen Menschen aus der Roma-Gemeinschaft." (https://www.bruzz.be/s...)

      Das heißt, ein Parteivorsitzender und potentielles zukünftiges Regierungsmitglied hat Polizisten dazu aufgefordert, einfach mal mehr von ihren Schlagstöcken Gebrauch zu machen, wenn sie es mit Roma zu tun haben.

      In der belgischen Gesellschaft findet eine solche Aufforderung keine Mehrheit, sondern erzeugt Empörung. Laut der belgischen Zeitung De Morgen finden 3/4 der Flamen die Aussage von Rousseau rassistisch (https://www.demorgen.b...).

      Laut der Brüsseler Vooruit-Abgeordneten Els Rochette hält die komplette Vooruit-Fraktion den Rücktritt von Rousseau für richtig (https://www.bruzz.be/p...).

      Hier das Suchergebnis zu "Rousseau" auf De Morgen":
      https://www.demorgen.b...

      Hier das Suchergebnis zu "Rousseau" auf Bruzz":
      https://www.bruzz.be/z...

    23. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor 12 Monaten

      @Jürgen Klute Keine Rede von "nicht zur Verantwortung ziehen". Geht nur um das "wie".

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