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Literatur

Gottes Wege sind unergründlich

Quelle: Sich den Anschein geben. / Foto: A.Poser (2010)

Gottes Wege sind unergründlich

Michael Kröchert
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Michael KröchertMontag, 23.04.2018

Paretta & Lamar. Neapel & Compton

Was hat Kendrick Lamars Musik mit Fabio Parettas Buch zu tun? Nichts, dachte ich heute Früh, als ich den Computer aufgeklappt hatte und den piq von Andreas Merkel las. Damn! Ich fühlte mich ausgebremst, Herr Merkel. Sie werfen mir den Sand der Aktualität und Megaprominenz ins Getriebe. Sounds like Lucy!

Ich klickte auf den Link zu Lamars Video und sah es mir an. "Alright" - ein geniales Werk, auch wenn es mit diesem himmlischen Lächeln endet. Dann las ich den Artikel auf der Seite der New York Times über Lamars Pulitzer-Preis und hatte das bezwingende Gefühl, mich in der Gegenwart zu befinden. Am 19.4.2018 um 9 Uhr 39 mitteleuropäischer Zeit: Der zarte Sekundenzeiger, mit dem die Gegenwart die Zukunft vor sich hertreibt, klingt in diesem Fall wie Kendrick Lamar ...

Anschließend betrachtete ich das Buch von Fabio Paretta - „Die Kraft des Bösen“ - und überlegte, wie ich im Zusammenhang mit einem rappenden Pulitzer-Preisträger über einen Krimi schreiben kann, der in einer Stadt spielt, die vor dreitausend Jahre gegründet wurde (Neapel) und diesen Geist immer noch atmet. Ein Buch, das dem Krimi-Genre gerecht wird und dessen Form eher zeitlos ist. Ich schlug Parettas Buch auf und blätterte es noch einmal durch. Anschließend las ich im Netz über Lamar, studierte die Lyrics von „Alright“ und akzeptierte, dass ich meinen ursprünglichen Ansatz, den ich mir zurechtgelegt hatte, um über das großartige Buch von Paretta zu schreiben, aufgeben musste. Ich musste mir einen neuen Ansatz überlegen, der zeitgenössischer ist. So stieß ich auf Gott. Ziemlich überraschend das Ganze.

Ich bin nicht getauft und in meinem Elternhaus gab es keine Bibel. Als ich in der Oberstufe mit meiner Religionslehrerin eine Wette abschloss und sie (haushoch) gewann, bekam ich von ihr die sogenannte Heilige Schrift, in der ich immer noch überaus gerne lese. So kommts, dass ich neugierig bin, wenn in Büchern oder Musik, in Krimis oder im Rap von "Gott" die Rede ist.

In Parettas Krimi begeht ein katholischer Geistlicher, der sich zusammen mit einem Kollektiv junger Künstler dem Ausverkauf seines Viertels entgegenstellt, Selbstmord. Franco De Santis (Parettas sexaffiner, hochintelligenter Kommissar) findet keine Indizien dafür, dass der Mann das Opfer eines Verbrechens wurde. Trotzdem glaubt er an Mord. Kurz darauf taucht eine weitere Leiche auf: eine osteuropäische Prostituierte, die mit einer kirchlichen Stiftung halb-legal nach Italien kam.

Erzählt wird dieses Drama vor dem Hintergrund eines Neapels, in dem die Kirche, der offizielle Glaube, die Camorra, die Korruption, die Seilschaften und der (Auftrags-)Mord, der Menschenhandel und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten niederschmetternd und allgegenwärtig sind. Erzählt wird der Krimi aber auch vor dem Hintergrund eines Neapels, in dem die Mehrheit der Neapolitaner es schafft, mit einer rätselhaften „Gabe“ (einem erweiterten, unkontrollierten Glauben, sprich Aberglauben) eine Atmosphäre zu kreieren, die schön und genialisch ist; die gute Laune macht. Es scheint, als könnte das Böse (Lamar nennt es in seinen Texten „Lucy“ = Luzifer) den Neapolitanern nichts anhaben. Sie lassen sich ihren Lebenswillen, ihre Verrücktheiten und ihre Autonomie (z.b. ihren Glauben an den Heiligen Diego Armando Maradona) nicht nehmen. Was nicht heißt, dass die Neapolitaner es aufgegeben hätten, die sozialen Unverschämtheiten und die Verbrechen der Bewaffneten, Besitzenden, der Reichen und Etablierten zu durchschauen und zu verfluchen.

In diesem neapolitanischen Gemenge ist Fabio De Santis der sehnsüchtig erwartete, aufklärende und aufgeklärte Geist, der versucht seinen Verstand zusammenzuhalten und die Ursachen für die Morde zu erforschen. Was schwierig ist.

Kendrick Lamar schreibt keine Krimis, er folgt keinem (etablierten) Genre, sondern er rappt uns ins dritte Jahrtausend. Höchst merkwürdig ist nur: Gott ist anwesend. Gott betritt Lamars Text. Gott ist ein Teil der Lamar-Lösung. - Kendrick Lamar (geb. 1987) ist seit ein paar Jahren bekennender Christ. Er hat sich 2013 taufen lassen und äußert sich in Interviews ausführlich zu der Thematik. Außergewöhnlich finde ich vor allem seine Aussage, er sei nicht religiös, sondern er glaube an eine direkte Beziehung zu Gott, zu dem „einen Gott“, dem christlichen. Auch in „Alright“ hören wir davon:

Hard times like "God!"

Bad trips like "Yeah!"

Nazareth, I'm fucked up

Homie, you fucked up

But if God got us, then we gon' be alright

Das ist nicht ironisch gemeint. „If God got us...“ - Eine Idee, die angesichts der massiven rassistischen Gewalt durch U.S.-Polizisten gegen Bürger mit afroamerikanischem Hintergrund aufmerken lässt.

Aufgewachsen ist Lamar in Compton, was bedeutet, dass er früh mit jeder Form der Gewalt, den Drogen und der Perspektivlosigkeit konfrontiert wurde. (Das erinnert an Neapel.) In Compton fand Lamar Dr. Dre und den Rap. Er fand den Rap wie ein Neapolitaner den Fußball und seine anderen Götter findet. Das macht Sinn... bis sich der Graben zwischen Lamars Kunst - der Form seiner Musik und den atemberaubend verstörenden, wunderschönen Videos - und Sätzen wie „But if God got us, then we gon' be alright“ öffnet. 

Währenddessen hetzt der Polizist Franco De Santis durch das im Glauben und in der Kriminalität ertrinkende Neapel und steht so vielen Rätseln und Verbrechen gegenüber, dass man sich wundert, warum er nicht verrückt wird. Er verliert seine Frau, er verliert seine Tochter – er ist nicht Hiob. Er bezieht sich auf keinen Gott und noch weniger auf eine Religion, um sich Gerechtigkeit und Gleichberechtigung, Fairness und Menschlichkeit als etwas Sinnvolles, etwas Schönes und Erstrebenswertes vorzustellen.


+ +  "Die Kraft des Bösen" von Fabio Paretta, Penguin 2017  + +  "Alright" von Kendrick Lamar + +

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