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Literatur

Das Wort, die Wörter - Oder: Eine Gebrauchsanweisung für Forum.eu

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergMontag, 20.05.2024

Europa gibt es nur in Übersetzung.

Dabei gibt es zwei Unterschiede zu beachten: Die Kluft zwischen dem Wort und was es bezeichnet, die es in jeder Sprache gibt. Jede(r) sollte versuchen, diese Lücke so klein wie möglich zu halten. 

Und wer einen Text von einer Sprache in eine andere überführt, also über-setzt, hat mit den damit einhergehenden Differenzen und Unterschieden zwischen den Sprachen zu kämpfen.

Dazu kommen Fragen mit philosophischen Dimensionen: Warum zum Beispiel bezeichnet dieses Wort diesen Gegenstand oder Vorgang?

Selbst ohne Fehler und Mißverständnisse sind die Überbrückungen schwierig wie reizvoll. Da es kein Europäisch gibt, kann man, was Forum.eu versucht, europäisch Zeitungslesen nur mit Übersetzungen.

Gut, dass wir mit der von der Akademie der Künste herausgegebenen legendären Zeitschrift SINN UND FORM kooperieren.

Diesmal gibt es eine Annäherung an das Wort und die Wörter.

Ausgehend von Walter Benjamins berühmten Schriften und dem fast vergessenen Essay "Das Wort" von Rudolf Leonhard nähert sich Steffen Mensching, Autor etlicher Romane wie SCHERMANNS AUGEN oder HAUSERS AUSFLUG; in DAS WORT - EINE UMKREISUNG IN VIER RUNDEN (im Link und als PDF) solchen Phänomenen.

In der literarischen Beilage der »Neuen Zürcher Zeitung« würdigte Hermann Hesse »Das Wort« ... Es sei verblüffend, zu welchen Ergebnissen Leonhard komme: »Wie er ein Wort aus sich heraus erklärt. Wie er in die Bedeutung eines Wortes eindringt. Es sind keine philologischen, es sind tief philosophische Erkenntnisse.«

...

Zwei Talente halfen dem Autor bei seinen frappierenden Urteilen: seine hohe Musikalität und Stilsicherheit sowie sein psychologisches Einfühlungsvermögen. Man könnte sagen, daß Leonhard eine Physiognomik der Worte entwickelte. Oft erwähnt er, wie sich Mund und Lippen beim Aussprechen bestimmter Worte oder Silben formen. So entdeckt er im Wort »geistreich« eine Rückbeziehung, die, »infolge der Gleichheit der Diphtonge, zur Spiegelung wird, zur Selbstbespiegelung«, er horcht dem Wort nicht nur hinterher, sondern sieht es vor sich: »das Wort lächelt, grinst sogar, und hat entblößte Zähne, zwei Zahnreihen«. Man kann sich den Autor vor einem Spiegel vorstellen, in den er die Worte, die er untersucht, hineinspricht. Das Beispiel »geistreich« zeigt die Präzision seiner Beobachtung: »In der Aussprache gehört das St zur zweiten Silbe, deshalb eben hat das Wort keine Lücke, deshalb hat es aber auch den Anklang an ›streichen‹ – ein bei scharfem genauen Ansatz sehr flüchtiges, windhaftes, nah an die Dinge gehndes und schwach verwehndes Wort – und sogar an ›Streich‹, das, von ›streichen‹ verkürzt, glatt herabführt, Überraschung zeigt, und etwas Wildes hätte, wenn es nicht – so viel breiter als das mehr verlaufende und merkwürdigerweise dem ›Streichen‹ nähere ›Strich‹ – so sanft abführe und so bis zum Lachen, bis zum Übermut hell wäre.« 

Heute kann man dank moderner Übersetzungsprogramme die Probe aufs Exempel machen.

Und diese Proben gibt Steffen Mensching im Essay.

Schon dieses Zitat zeigt die Nähe zwischen Wort und Gestik, schließlich "sprechen" ja etliche mit den Händen. Man muss nicht Friedrich Schiller zitieren, aber ich mache es:

Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.

Nicht freigeschaltet, aber für wenig Geld, gibt es im Heft auch ein Gespräch, das ich mit Steffen Mensching führte, wo seine Arbeitsweise und seine Ein- und Ansichten zum Ukrainekrieg dargelegt werden, aber auch die Bedeutung des Spiels. Immerhin wurde Steffen Mensching im Clownduo mit Wenzel bekannt und er arbeitet bis heute als Intendant in Rudolstadt.

Ein Zitat aus dem Gespräch, das auch seine jahrzehntelange Beschäftigung mit Walter Benjamin zeigt, aber auch eine markante Kritik am denkfaulen Juste Milieu ist:
Angesichts der Fetischisierung von Identitäten bekommt Benjamins Suche nach Ähnlichkeit – die manche als einen verschrobenen Tick abtun wollten – eine politische Dimension. Es ging ihm um das Herausarbeiten von Gemeinsinn, um die Überbrückung von Differenzen zur Herstellung ziviler Verhältnisse. Daher auch sein Interesse am mimetischen Vermögen – eine Begabung, die Ähnlichkeiten herzustellen versucht. Ich beobachte mit Sorge, daß solche Erfahrungen in der Gegenwart eher verhindert als befördert werden, unter anderem mit dem Verdikt kultureller Aneignung. Kindliches Spiel mit Indianerhauben kann als Legitimation von Kolonisation untersagt oder als Versuch respektiert werden, den Erfahrungsschatz durch Nachahmung zu bereichern und kritische Auseinandersetzung anzuregen. Auseinandersetzung setzt Interesse voraus. Interesse verlangt nach Nähe. Für die Künste wäre eine freiwillige Beschränkung des Erfahrungsraums fatal.

Die Welt gibt es nur als Übersetzung und im Spiel. Ähnlichkeiten schaffen Gemeinsamkeiten.

Im nächsten Sinn-und-Form-Pick werden wir tief in die bald digital erschlossenen Keller der Akademie der Künste steigen: es geht um das weiter zugänglich gemachte Archiv der markanten Zeitschrift.

Für Berliner könnte die Eröffnung dieses wiedergefundenen Archivs am 11. Juni 2024 an- und aufregend sein. Danach können vom Essay bis zum Gedicht, vom Theaterstück bis zur Erzählung, von der Rede bis zum Romanauszug über viertausend Beiträge überall gelesen werden.

Am Dienstag, den 11. Juni, liest Ulrich Matthes. SINN UND FORM wird vorgestellt von Paul Bernewitz, Friedrich Dieckmann, Kerstin Hensel, Angela Krauß und Gustav Seibt. Elisa Primavera-Lévy und Matthias Weichelt, Chefredakteur von SINN UND FORM, führen durch den Abend.

Wer mit Forum.eu europäisch liest, weiß mehr: Eine Archivperle gibt es Anfang Juni.

Das Wort, die Wörter - Oder: Eine Gebrauchsanweisung für Forum.eu

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