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Technologie und Gesellschaft

Polarisierung durch Social Media-Menschsortiermaschinen

René Walter
Grafik-Designer, Blogger, Memetiker | goodinternet.substack.com

Irgendwas mit Medien seit 1996, Typograph, Grafiker, Blogger. Ask me anything.

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René WalterMittwoch, 19.10.2022

Seit einigen Jahren schon schreibe ich darüber, dass Echokammern (im Gegensatz zu den nicht nachweisbaren Filterbubbles) zwar durchlässige und nicht hermetisch abgeschlossene Gebilde sind, dies aber noch lange nicht bedeutet, dass es zu einem fruchtbaren diskursiven Austausch mit dem politischen Gegner kommt. Das Gegenteil ist der Fall: Wir benutzen Meldungen und News über die Gegenseite, um unsere eigenen tribalistischen Instinkte zu befriedigen und die eigene Seite zu stärken. Ein neues Paper von Petter Törnberg bestätigt diese These und erklärt die Rolle sozialer Medien, die diesen Prozess als emotional-algorithmische Sortiermaschinen ermöglichen.

In seiner Studie beschreibt Törnberg die durch soziale Medien ausgelöste "Meta-Krise" als eine der Ursachen für andere Krisen, die dank der Wahrnehmungs-Verzerrungen und den durch sie ausgelösten Polarisierungen nur unzureichend gelöst werden können. Weiter beschreit Törnberg soziale Medien als Räume für Identitätsfindung und Selbstpräsentation, die in Folge einer überregionalen Sichtbarkeit und erhöhter Interaktion mit den politischen Gegnern in einer gruppenbezogenen Polarisierung resultieren, bei der einzelne Haltungen zu spezifischen Themen an Relevanz verliert und alleine Identitätsmarker und Zugehörigkeit zu einer Gruppe die vorwiegende Ursache von Zustimmung oder Misstrauen wird. Die Polarisierung der Öffentlichkeit basiert vor allem auf Gruppenzugehörigkeit und Emotion, nicht auf Inhalten oder Meinungen.

Dies alles ist nun nicht unbedingt neu und wurde unter dem Stichwort Tribalisierung bereits oft beschrieben. Tönberg geht nun allerdings einen Schritt weiter und erklärt in seinem Paper, wie soziale Medien als tribalistische Sortiermaschinen dienen: Digitale Medien funktionieren naturgemäß überregional, User sind in digitalen Medien einer vielfach höheren Interaktionsrate mit Menschen ausgesetzt, die sie im echten Leben niemals antreffen würden. Die Folge ist eine monolithische Sicht auf politische Identitäten: aus lokalen Mississippi Republikanern werden überregionale Republikaner, die sich nicht vorwiegend als Vertreter der lokalen Identität "Mississippi" sehen, sondern als Vertreter der überregionalen Identität "Republikaner". In Folge passen sich die einzelnen Haltungen innerhalb der Partei immer weiter an, die gesellschaftliche Polarisierung wächst. Die Identitätsgestaltung durch überregionale soziale Medien lässt Nutzer wiederum "Stellung beziehen", angefeuert durch opportunistische Politiker und Aktivisten und der Wettbewerb in einer internationalen Aufmerksamkeitsökonomie beschleunigt diese Polarisierungsspirale zusätzlich -- die Gesellschaft sortiert sich in digital beschleunigten, affektgetriebenen digitalen Medien entlang überregionalen und hypersichtbaren politischen Identitäten.

Törnberg vergleicht soziale Medien in seinem Paper mit der Insel in William Goldings Roman "Herr der Fliegen", ein "sozialer Raum, der die Emergenz von separierten sozialen Gruppen erzeugt, kollektive Identitäten stärkt und politische Gegner in Konflikte zwingt".

Das Paper lässt sich nur bedingt auf die Situation in Deutschland anwenden. Polarisierung hierzulande ist weit weniger ausgeprägt als in englischsprachigen Ländern, was der parlamentarischen Pluralität geschuldet sein dürfte. Aber in einem Zweiparteiensystem wie in den USA mit "Medienhäusern" wie Fox News wird die Social Media Menschsortiermaschine zu einem Brandbeschleuniger, dessen Konflikerzeugungspotential auch hierzulande grade bei Themen mit hohem Empörungsfaktor sehr wirksam ist und bleibt. Die Sicht auf soziale Medien als überregionale Sortiermaschinen politischer Identitäten hilft dabei, diesen Prozess zu verstehen.

Das Paper von Törnberg findet man hier: How digital media drive affective polarization through partisan sorting, in einem Thread auf Twitter erklärt Törnberg die Hintergründe.

Polarisierung durch Social Media-Menschsortiermaschinen

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