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Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).
If art is the tip of the iceberg/ I'm the part sinking below
(Lou Reed: Songs For Drella)
Fantastische Buchempfehlung von Co-Piqer Felix Lorenz letztens über Rainald Goetz‘ Lieblingsautor: The Philosophy of Andy Warhol (From A to B and Back Again) habe ich mir daraufhin gleich besorgt und auch sofort das Zitat gefunden, um das herum ich mal einen ganzen Roman geschrieben habe („American Angst“, der dann unter einem ganz anderen Titel in der Erwachsenen-Reihe eines Kinderbuchverlags rauskam und eins der erfolglosesten Bücher der sogenannten Nullerjahre wurde):
„Irgendwann in den 60ern, glaub ich, haben die Leute vergessen, was Gefühle sind. Jedenfalls glaub ich nicht, dass sie sich jemals wieder daran erinnern werden. Ich denke, wenn du Gefühle einmal aus einer bestimmten Perspektive betrachtet hast, dann kannst du sie nie wieder als real empfinden. Das ist mehr oder weniger, was mir passiert ist ...“
Vor allem aber wurde ich durch diesen Tipp mal wieder an „a – A Novel“ erinnert, Andy Warhols ehrgeiziges 500-Seiten-Romanprojekt aus den Sechzigern (also jener spannenden Zeit, in der die Leute anfingen, ihre Gefühle für immer zu vergessen). Inzwischen ist „a“ längst ein Vintage Classic, aber damals wollte Warhol vor allem einen bewusst „schlechten“ Roman schreiben, a bad novel („because doing something the wrong way always opens doors“). „a – A Novel“ ist dann einfach nur das relativ unbearbeitete Tonband-Transkript eines Tages in der Factory. Am 11. September 1999 verfasste ein amazon-Kunde eine wegweisende 2-Sterne-Rezension, die unter der Überschrift „Liebe das Konzept! Hasse, es zu lesen.“ nicht nur dieses Buch, sondern so ziemlich alles, was mit Literatur zu tun hat, ziemlich gut zusammenfasst:
„Yes, I love the concept of it, but actually reading it is another story. Some of it is interesting, but it gets rather tiresome after a while. It's the type of book you put down and can't pick up again.”
Dass Lesen immer noch mal eine ganz andere Geschichte sein kann, ist ein Kundenurteil, das auch gut zu Kenneth Goldsmiths „Uncreative Writing“ passt, das gerade (in einer erweiterten deutschen Ausgabe, übersetzt von Swantje Lichtenstein und Hannes Bajohr) mit dem furchtbaren FDP-Untertitel „Sprachmanagement im digitalen Zeitalter“ bei Matthes & Seitz erschienen ist. Kenneth Goldsmith wurde 1961 in Freeport, Long Island geboren, geht in seinem eigenen Klappentext als „Konzeptkünstler, Dichter und Literaturwissenschaftler“ durch und sieht auf dem Autorenfoto, das ihn vor den Papiermassen eines Projektes zeigt (bei dem es ihm darum ging, „das Internet auszudrucken“), mit Hut, Sonnenbrille, hellem Anzug und Rauschebart so aus wie eine Hipster-Kreuzung aus Harry Rowohlt und Michael Stipe (egal). Jedenfalls scheint es an der University of Pennsylvania tatsächlich das Fach „Uncreative Writing“ zu geben, das dort von Kenneth Goldsmith unterrichtet wird und von dem man sich nun glücklicherweise auch hier in Deutschland ein Bild machen kann, wo es so etwas leider noch nicht gibt.
Denn Goldsmiths Poetik ist so etwas wie eine Überwindung der Angst vor der Gegenwart und den Textmassen des Internets. Wenn man beispielsweise an Jonathan Franzen denkt, der die Ablenkung durch das Netz (und also das, was für uns heute zu einem großen Teil die Welt ausmacht) so sehr fürchtet, dass er in Portraits immer wieder darauf hinweist, er habe an seinem Laptop den Internetzugang „abgesägt“, so ist „Uncreative Writing“ darüberhinaus gleichzeitig eine Abrechnung mit jener pseudooriginellen Art von „Weltliteratur“ als einem autoritären, denkfaulen und vor allem arschlangweiligen System, in dem es von „Meisterwerken“, „Genies“ oder „Großschriftstellern“ nur so wimmelt.
Goldsmith hingegen sieht Internet und Digitalisierung, die unser Lese- und Schreibverhalten fundamental verändert haben, nicht als Gefahr für die Literatur. Nicht mehr das Schaffen von neuem, sondern der Umgang mit vorhandenem Text steht im Vordergrund seines Klappentextes: die digitale Welt wird enthusiastisch willkommen geheißen: „Kopieren, Programmieren, Automatisieren sind die neuen literarischen Werkzeuge, ihre Genres heißen Plagiat, Remix, Appropriation“. Und die Kapitel haben super Roland-Barthes-Titel: „Die Rache des Textes“, „Mit Unbeständigkeit umgehen“, „Unfehlbare Prozesse – Was das Schreiben von der bildenden Kunst lernen kann“ oder „Unkreatives Schreiben im Seminarraum. Eine Desorientierung“. In dem Kapitel „Unfehlbare Prozesse…“ geht es natürlich um Andy Warhol:
„Andy Warhol ist wohl die wichtigste Figur für das Unkreative Schreiben. Warhols gesamtes Werk basiert auf der Idee der Unkreativität. (…) Andy Warhol war das größte Unoriginalgenie, jemand, der in der Lage war, ein zutiefst originelles Werk zu schaffen, indem er Ideen und Bilder isolierte, neu rahmte, recycelte, wiederkäute und endlos reproduzierte, die nicht seine waren – wenn er mit ihnen fertig war, waren sie durch und durch Warhol. Da er die Manipulation von Informationen meisterhaft beherrschte (die Medien, sein eigenes Image oder seine Entourage aus Prominenten, um nur einige zu nennen), verstand Warhol, dass er die Kultur selbst meistern konnte.“
Das heißt für Goldsmith, dass Warhol für die Kunst einen Freiraum eröffnete, um „die Grenzen der Moral und der Ethik im positiven Sinne auszuloten“:
„Warhol, der behauptete, nicht zu lesen, veröffentlichte logischerweise ein Buch, das als unlesbar gilt: a: A Novel. Als literarisches Werk weist es alle Merkmale einer Arbeit Warhols auf – mechanische Prozesse, verrutschte Passermarken (Schreibfehler), reichlich modernistische Schwierigkeiten und ein Auge für Details. Wenn es eine Geschichte gibt, ist sie so sehr in der buchstäblichen Transkription und typographischen Unbeständigkeit verloren gegangen, dass der Signal-Rausch-Abstand eine konventionelle Lektüre fast unmöglich macht. Das war natürlich Warhols Absicht. (…) Die Abwesenheit einer Geschichte erlaubt es dem Geist umherzuwandern, sich vom Kunstwerk fortzubewegen, und das war Warhols Art und Weise, den Betrachter von der Kunst ins Leben zu lenken.“
Vor dem Hintergrund von Filmen wie „Sleep“, in dem Warhol 1963 sechs Stunden einen Mann beim Schlafen zeigte, fordert Goldsmith auch für die Literatur, dass es mehr Bücher geben muss, die nicht dafür gemacht werden, dass man sie in Gänze liest, sondern um über sie nachzudenken, zu schreiben, zu diskutieren… (– Dabei denke ich an Knausgård, der mitten in seinen Alltagskampf einen 500-Seiten-Essay über Hitler reinhämmert, an Bolaño, der in „2666“ hunderte Frauenmorde in Mexiko protokolliert, oder Carrère, der ähnlich ausführlich seine Geschichte mit dem Christentum erzählt.)
Es geht, mit anderen Worten, darum, wieder etwas zu riskieren. Und wie riskiert man etwas? Indem man sich selbst so unoriginell wie möglich in etwas Überraschendem einübt. Goldsmith‘ Unkreative Vorschläge sind zum Beispiel: einmal komplett Jack Kerouacs „Unterwegs“ abschreiben. Oder die vollständige Tagesausgabe der New York Times in Buchform als achthundertseitigen Roman rausbringen (also gewissermaßen Johnsons „Jahrestage“ als einzigen „Jahrestag“). Und gucken, was dabei passiert: mit einem selbst. Mit dem Text, „der Literatur“. Mit dem Sound, auf den es letzten Endes ankommt.
So wurde David Lynch vor kurzem unter der Überschrift „I Love Winds“ von besagter New York Times zu seinem Sound-Design und –Gespür befragt (Anlass war natürlich die dritte Staffel von Twin Peaks):
“Do you think you hear sounds in your daily life differently from other people?
No, I think I’m like everybody else. [Laughs.] I just hear the regular sounds out there.”
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Sehr guter Fund. Ich erinnere daran, daß ich mal meinen Mülleimerinhalt dokumentiert habe. Über Goldsmith stand am 20.12.14 ein toller Artikel in der FAZ, den ich natürlich abgeschrieben habe: "FAZ: - Der Konzeptkünstler Kenneth Goldsmith lehrt Poetik und Poetische Praxis und bietet im Rahmen seiner Theorie 'Unkreatives Schreiben' an der Universität von Pennsylvania einen Kurs 'Wasting Time on the Internet' an. Eines seiner Werke, 'Traffic', das er im weißen Haus bei einer Lyriknacht vorgetragen hat, besteht nur aus den Verkehrsmeldungen eines Jahres, die die Brooklyn Bridge betrafen. Er schläft immer ein, wenn er seine Texte redigiert, findet die Ideen aber toll. Er habe keine Leserschaft, sondern eine Denkerschaft."
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