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Literatur

Mein kleiner Buchladen - „Debüts“ - Ans Ende der Welt

Mein kleiner Buchladen - „Debüts“ - Ans Ende der Welt

Anne Hahn
Autorin und Subkulturforscherin
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Anne HahnSamstag, 27.08.2016

Ein Mädchen blickt traurig vom Umschlag. Über ihren Hals läuft ein roter Querstrich, darunter der Titel Ans Ende der Welt. 1949 veröffentlichte der Ost-Berliner Verlag Volk und Welt diese erste Novelle von Grete Weil, Werner Klemke gestaltete das Cover.

Grete Weil wurde 1906 in einem großbürgerlichen jüdischen Elternhaus in München geboren, emigrierte 1935 nach Amsterdam und überlebte die Deportationen im Untergrund, während ihr Mann verschleppt und ermordet wurde. 1947 kehrte sie nach Deutschland zurück, schrieb und übersetzte. Erst 1980 schaffte sie mit ihrem Roman Meine Schwester Antigone den literarischen Durchbruch. Bis zu ihrem Tod 1999 folgten weitere Romane, Erzählungen und eine Autobiografie.

Ans Ende der Welt ist die Geschichte einer jüdischen Akademiker-Familie im Amsterdam der Nazi-Besatzung. Eines Tages werden sie von Deutschen verhaftet und in ein altes Theater gebracht, das zum Sammellager umfunktioniert ist. Hier warten dutzende Familien auf den Transport in ein polnisches Arbeitslager. Mitarbeiter des Jüdischen Rates registrieren die Verhafteten, beruhigen und versorgen sie. Nur die halbwüchsige Tochter Annabeth erkennt die tödliche Gefahr, während der Vater Salomon Waterdrager sich empört, die Aufklärung einer Verwechslung erhofft und Mutter/Gattin Henny ihrem Mann und dem Schicksal vertraut. Annabeth verliebt sich in den entfernt mit ihr verwandten Ben Waterdrager. Die beiden kommen sich näher.

Nur 107 Seiten braucht Grete Weil, um ein Szenario zu entfalten, welches ihr vertraut gewesen sein muss. Die bedrückenden Tage des Wartens und die Unterbringung von hunderten Menschen auf engsten Raum sind authentisch geschildert. Im Jüdischen Rat hatte sie selbst gearbeitet, bis sie in den Untergrund ging. Gerüchte machen unter den Verhafteten die Runde, gewinnen für den Leser grausame Tragweite. Man würde in den Lagern doch nicht wirklich Menschen töten, vergasen?

Ein Verrat bildet das Kernstück der Novelle. Salomon schwärzt Ben (den Sohn seines gleichnamigen Vetters) als Untergetauchten bei der Gestapo an, um dem Inferno zu entkommen und gleichzeitig die Liebesgeschichte zu beenden. Ben könnte noch kurzzeitig über sein Untergrund-Netzwerk fliehen, lässt aber Annabeth nicht zurück. Diese nicht ihre Eltern. Den Vater, der Ben verrät.

Ben wird verhört und gefoltert. Keiner entkommt, alle werden verladen, nach Osten transportiert und in Auschwitz auseinander sortiert. Zusammen reisen die Liebenden ans Ende der Welt und die Freiheit wird nichts mehr sein „als ein selten geträumter Traum und die leise Frage: Wird sie kommen? Wird sie kommen für uns?“

Grete Weil hatte den Text bereits 1943 abgeschlossen. Der zweite Weltkrieg und der Holocaust werden ihr Lebensthema bleiben. „Meine Krankheit heißt Auschwitz, und die ist unheilbar.“

Kürzlich habe ich einen ihrer späten Romane gelesen. „Generationen“ beschreibt drei Frauen dreier Generationen, die am Miteinander-Leben scheitern. Zart sind die homoerotischen Beziehungen unter den Frauen angedeutet, hart geht Grete Weil mit Körper, Alter und Verlust ins Gericht. Ihre Ich-Erzählerin scheint mit der Autorin zu verschmelzen. Geht zurück nach Amsterdam, zu ihrer Schuld des Überlebens. Immer wieder zu den Deutschen und ihrem Nicht-Reden. Einer Scham, die sie mit den überlebenden Juden teilen. Wer berichtet schon davon, gequält oder gemordet zu haben und wer, gedemütigt worden zu sein?

Mich hat „Generationen“ stärker bewegt als die frühe Novelle. Diese atmet noch nicht die Sprachgewalt der späten Texte. Ihr Stil erinnerte mich an einen anderen in München aufgewachsenen Schriftsteller – tatsächlich zählte Grete Weil zum Freundeskreis von Klaus Mann. Zuletzt traf sie ihn 1946 in Amsterdam. Klaus Mann riet davon ab, nach Deutschland zurück zu gehen. Man könne dort nicht leben. Sie tat es dennoch und schuf ein reiches Werk in schmalen Bänden. Ich werde als nächstes „Meine Schwester Antigone“ lesen.

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Kommentare 2
  1. Georg Wallwitz
    Georg Wallwitz · vor mehr als 8 Jahre

    Danke sehr für den Piq. Grete Weil war eine Zeitlang, ich muss so 19 oder 20 gewesen sein, meine absolute Lieblingsschriftstellerin, die Bücher haben mich damals sehr tief berührt. So tief, dass ich Grete Weil ausfindig gemacht und einfach so, ohne Ankündigung, besucht habe. Und anstatt mich davon zu jagen, hat sie mich ins Haus gebeten und ich saß dann einen ganzen Nachmittag bei ihr und habe vermutlich sehr dummes Zeug geredet. Inhalte habe ich längst vergessen, aber die Güte, die sie ausstrahlte, ist mir bis heute sehr präsent.
    Heute, mit diesem Piq, ist das nach über 30 Jahren alles plötzlich wieder in meine Vorstellungswelt gekommen.

    1. Anne Hahn
      Anne Hahn · vor 8 Jahren

      lieber georg wallwitz, jetzt habe ich "meine schwester antigone" gelesen und bin erschüttert - was für ein aufrichtiges, ergreifendes und verstörendes buch! ich beneide sie um die erfahrung, dieser großartigen frau begegnet zu sein! sie wird durch ihr werk unter uns bleiben...

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