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Russia 1985–1999: TraumaZone

Christian Gesellmann
Autor und Reporter

Geboren 1984 in Zwickau, Studium der Politikwissenschaft, Geschichte und Germanistik in Jena und Perugia. Volontariat bei der Tageszeitung Freie Presse, anschließend zweieinhalb Jahre als Redakteur in Zwickau. Lebt als freier Autor in Leipzig und Bukarest. Quoten-Ossi bei Krautreporter.

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Christian GesellmannSamstag, 12.11.2022

Der Grund, warum ich dir dieses Interview mit Adam Curtis empfehle, ist, dass ich dir aller wärmstens empfehle, den neuesten Film von Adam Curtis anzuschauen. Er heißt "Russia 1985–1999: TraumaZone" und will, wie Curtis in diesem Interview sagt (das anzuschauen sich wie gesagt eigentlich nicht lohnt), "zeigen, wie es sich angefühlt hat, den Kollaps des Kommunismus und der Demokratie mitzuerleben". 

Und miterleben zu können, was es für normale Bürger:innen der Sowjetunion und später Russlands bedeutet hat, über Jahre und Jahrzehnte in einem völlig dysfunktionalen Staat zu überleben, ohne Löhne, ohne Arbeit, ohne Essen betrunkenen Premierministern und putschenden Gangstern dabei zusehen zu müssen, wie sie das Land plündern und Nachbarländer überfallen – jedenfalls, TraumaZone lässt einen das alles tatsächlich miterleben wie kein anderer Film. Es ist schmerzhaft teilweise, es ist rührend, es ist komisch und durch die Nähe der Videokameras der BBC-Reporter in alltäglichen wie historischen Momenten ist man oft surreal unmittelbar mit dabei bei der Katastrophe. Curtis hat sich durch Tausende Stunden des nun digitalisierten Moskauer Archivs der BBC geschaut und daraus TraumaZone montiert – sieben Teile à etwa 45 Minuten, angenehm zurückhaltend und präzise kommentiert durch Untertitel. 

Zu sehen gibt es dieses Meisterwerk leider offiziell nur als paid content bei der BBC. Andererseits sagt Adam Curtis, seinerseits einer der ruhmreichsten Repräsentanten seines öffentlich-rechtlichen Arbeitgebers, in diesem Interview (das anzuschauen sich wie gesagt eigentlich nicht lohnt): 

Diesen Film zu machen habe ich in erster Linie als Service an den Bürger:innen verstanden, denn sie haben ja bereits dafür bezahlt, dass dieses Material entstanden ist. Also sollten sie es auch sehen dürfen. 

Zum Beispiel hier auf YouTube

Curtis hatte noch eine wichtigere Motivation, als er bereits vor dem Vollangriff Russlands auf die Ukraine begann, an TraumaZone zu arbeiten. Er wollte zeigen, dass Putin nicht vom Himmel gefallen ist, dass er ein Produkt seiner Zeit ist und dass sich die meisten Russ:innen die Autokratisierung ihres politischen Systems nicht gewünscht haben, die Demokratisierung sie aber noch mehr kostete. Und auch, dass der Westen ordentlich dabei mithalf, als die Oligarchen Russland unter sich aufteilten und ausraubten. 

Check auch diesen piq zu Adam Curtis' brillanter Afghanistan-Doku Bitter Lake (2015).

Russia 1985–1999: TraumaZone

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Kommentare 5
  1. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor 2 Jahren

    Die Serie schaue ich gerade, erst Auszüge nun im Ganzen, und wollte sie bis zu diesem piq hier auch empfehlen - bislang allerdings mit Einschränkungen.

    Es gibt prägnannte Szenen und Sentenzen, etwa wenn es kurz vor der Amtsübergabe an Putin heißt: „Nach zehn Jahren ist ‘Demokratie’ zu einer Art Schimpfwort geworden. Sie können jemanden beleidigen, indem sie ihn einen Demokraten nennen.“

    Allerdings die Entwicklungen verliefen in anderen Nachfolgestaaten ähnlich wie man zum Beispiel für die Ukraine im Film RHINO sehen kann, der in wenigen deutschen Kinos läuft.

    Die Ergebnisse waren aber doch anders - von schwachen Demokratien bis zu Despotien.

    Möglicherweise kommt Adam Curtis darauf noch... Möglicherweise sieht man auch hier seine Grenzen.

    Vorgeschichten aller dieser Historien kann man auf arte in dieser dreiteiligen Doku über die Sowjetunion hören und sehen: https://www.piqd.de/ze...

    1. Christian Gesellmann
      Christian Gesellmann · vor 2 Jahren

      Verstehe nicht, was genau deine Kritik ist an dem Film von Adam Curtis. Du kannst ihm ja nicht vorwerfen, nicht gezeigt zu haben, was er gar nicht zeigen wollte.

      Herablassende deutsche Ferndiagnosen wie die von der Sowjetunion als "industrialisiertes Neandertal" oder Fließband-Dokus mit hirnverbrannten Titeln wie "Paraden, Pläne, Paranoia" scheinen mir eher Teil des Problems zu sein, als Verständnis (das, das von Verstehen kommt) zu fördern.

    2. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor 2 Jahren

      @Christian Gesellmann Das ist keine herablassende deutsche Ferndiagnose, sondern ein Zitat eines damals ungarisch-jüdischen Journalisten nach einem längeren Aufenthalt in der Sowjetunion, der mehrere Klassiker über den Stalinismus schrieb, die bis heute gelesen werden.

      Jürgen Ast ist ein Kenner, der sich seit Jahrzehnten damit beschäftigt und sich in diesem Fall mit Adam Curtis messen kann, ja ihn hier übertrifft.

      (Das Übertreffen ist unter dem Vorbehalt formuliert, dass ich noch nicht alles gesehen habe.)

      Bevor man etwas als "hirnverbrannt" bezeichnet, sollte man sich damit beschäftigen.

    3. Christian Gesellmann
      Christian Gesellmann · vor 2 Jahren

      @Achim Engelberg Ich weiß, wer Arthur Koestler ist. Deswegen regt mich das ja auch auf. Sein Zitat so kontextlos zu verwenden (vor allem in der Überschrift) bedeutet, das Bild vom Osteuropäer als Untermenschen zu perpetuieren. Aber erklären tut es so gar nichts. Das wird Koestlers Analyse nicht gerecht, die nun einmal, da sie ein paar Jahrzehnte alt ist, Einordnung braucht.

      Als hinverbrannt habe ich den Titel der Arte-Doku bezeichnet.

    4. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor 2 Jahren

      @Christian Gesellmann Aber den Kontext gibt es doch in der Doku.

      Und im Kommentar oben wird Koestler als "herablassende deutsche Ferndiagnose" verunglimpft. Er schrieb es als jüdisch-ungarischer Journalist, der später zu einem englischen Schriftsteller von Weltrang wurde.

      Über die in Russland vorherrschenden, aber nie richtig erfüllten Imperium-Vorstellungen, die in der arte-Doku dargestellt werden, kann man viel erzählen.

      Und das meinte Koestler und viele andere. Auf keinen Fall werden dadurch Osteuropäer als Untermenschen dargestellt.

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