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Die Kinder von Station 19 – Reportage über eine Verwahrstation bei Leipzig

Charly Kowalczyk
Journalist

Ich bin in Singen am Hohentwiel geboren und lebe in Potsdam. Schreibe Radiofeature für den Deutschlandfunk und für die Sender der ARD. Bin Mitgründer des Bremer Hörkinos. Seit nun fast 19 Jahren stellen wir in Bremen ein Radiofeature der Öffentlichkeit vor.
www.bremer-hoerkino.de

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Charly KowalczykDienstag, 18.02.2020

„Februar 2015. Jede Nacht träume ich den gleichen schrecklichen Traum: Ich stehe in einem Raum, der vollgestellt ist mit metallenen Gitterbetten. Eins am anderen. Darin sitzen Kinder. Kleine, auch größere. Wie in Trance schaukeln sie ihre kleinen Körper. Vor- zurück, vor- zurück. Endlos. Eines kreischt wie ein Tier. Schlägt sich die Hände ins Gesicht. Reißt sich Haare aus. Schlägt den Kopf gegen die Gitterstäbe seines Bettes. Andere liegen reglos, stumm und mit leerem Blick auf ihren Matratzen.“

Die Rundfunkautorin Marie von Kuck lernte 1990 als Hilfskraft die Kinderstation in Altscherbitz bei Leipzig kennen. Diese Zeit hat sie bis heute nicht vergessen.

25 Jahre später will sie wissen, wie es vor allem den Kindern der Verwahrstation 19 ergangen ist. Marie von Kuck stößt auf eine Mauer des Schweigens. Die Recherche ist mühselig, langwierig, die Autorin bleibt hartnäckig. Auch die heutige Leitung in Altscherbitz will offensichtlich nicht, dass die Öffentlichkeit erfährt, was die Kinder in der Anstalt damals erleben mussten. Marie von Kuck hat drei Jahre gebraucht, bis sie endlich bei der Recherche weiterkommt.

Sie findet ehemalige Beschäftigte von Altscherbitz, die das Schweigen überwinden und auch Mütter, deren Kinder ihre Kindheit in der Anstalt verbrachten. Eltern, die die Hoffnung hatten, dass ihre Liebsten dort gefördert werden. Statt Förderung erlebten die Kinder Gewalt, von überforderten Beschäftigten. Sie wurden vollgestopft mit Psychopharmaka und anderen Pillen. Und wenn sie in ihren Gitterbettchen unruhig wurden, wurden sie fixiert. Die Autorin bekommt Einblick in Patientenakten, die dokumentieren, wie es den Kindern in Altscherbitz ergangen ist. Es ist schwer erträglich zuzuhören, wenn Kindern, nur weil sie eingeschränkt sind, die Freude am Leben genommen wird. Jahrelang verbrachten die Kinder im Gitterbett. Das war ihr Lebensort. Die Welt draußen lernten sie nicht kennen.

„Und das ist eben auch wieder einer dieser Widersprüche: (...) De Facto war natürlich auch der Wert der Arbeit im Sozialismus einer, der unglaublich groß war... Wer arbeiten konnte, war Teil der Gesellschaft, wer nicht arbeiten konnte, war das nicht.“

So formuliert es Professor Sebastian Barsch im Feature. Er ist Historiker und forscht zum Umgang mit Behinderung in der DDR. Entgegen der propagierten Utopie von der Gleichwertigkeit aller im Sozialismus habe es in vielen Anstalten klare Kontinuitäten zum Nationalsozialismus gegeben.

Heute geht es den ehemaligen Kindern von Altscherbitz wesentlich besser. Die Autorin sucht sie und findet einige von ihnen. Das ist berührend, wenn man mitkriegt, wie Menschen,  die man damals aufgegeben hat, Lust aufs Leben haben. Es stellt sich die Frage: “Warum übernimmt bis heute niemand die Verantwortung für das Leid der Kinder in Altscherbitz? Warum scheut die aktuelle Leitung die Aufklärung über die damaligen Vorgänge? Welche langfristigen gesundheitlichen Folgen hatten die vielen Anstaltsjahre für die Kinder der Station 19?

Das Feature ist ein journalistisches Highlight. Eine nachdenkliche Radioreportage und Dokumentation. Es lohnt sich, sich die Zeit zu nehmen und einfach nur eine Stunde lang zuzuhören.

Die Kinder von Station 19 –
Reportage über eine Verwahrstation bei Leipzig

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Kommentare 1
  1. Maximilian Rosch
    Maximilian Rosch · vor fast 5 Jahre · bearbeitet vor fast 5 Jahre

    Boah, inhaltlich heftig. Aber journalistisch eine enorme Leistung und ein wichtiges Zeitdokument. So viele relevante Stimmen von Beteiligten. Danke für den piq!

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